Der polnische Germanist, Literaturwissenschaftler und Übersetzer Stefan H. Kaszyński ist am 16. März 2025 im Alter von 83 Jahren verstorben.
Kaszyńskis tiefe Begeisterung für die österreichische Literatur, insbesondere für die Lyrik, prägten sein Schaffen maßgeblich. Mit der Österreichischen Gesellschaft für Literatur verband ihn eine lange Geschichte.
»[M]eine Österreichedukation ist letztendlich ein Produkt der Österreichischen Gesellschaft für Literatur.«
Stefan H. Kaszyński (Aus: »In guter literarischer Gesellschaft. 60 Jahre Österreichische Gesellschaft für Literatur«; S. 227)
In den 1960ern erlebte das Interesse an österreichischer Kultur in Polen eine Konjunktur, in deren Sog eine österreichische Lesehalle in Warschau gegründet wurde. Zahlreiche von der Literaturgesellschaft nach Polen versandte österreichische Bücher sowie Zeitschriften kamen über diese Lesehalle an polnische Universitäten. Stefan H. Kaszyński, damals Dissertant in Poznań, wandte sich daraufhin direkt an Wolfgang Kraus – der Beginn einer jahrzehntelangen Kooperation und Freundschaft.
Als Spezialist für österreichische Lyrik übersetzte Kaszyński in der Folge zahlreiche Gedichte österreichischer Autor*innen ins Polnische und veröffentlichte diese in der Posner Kulturzeitschrift ›Nurt‹. Anfang der 1970er-Jahre verbrachte er im Rahmen eines längeren Studienaufenthalts einige Zeit in Wien, da er eine Zusage für ein Habilitationsstipendium an der Universität Wien zugesprochen bekommen hatte – 1969 hatte er mit einer Arbeit über Wolfgang Borchert den Doktortitel erlangt. Aufgrund eines Verwaltungsfehlers der Universität Wien wurde ihm jedoch bloß ein Studentenstipendium gewährt, weshalb er in Wien drei Semester als Student immatrikuliert war. Während dieser Zeit hielt er sich oft in der ÖGfL auf, die ihm zudem einen Ort zum Forschen und Arbeiten bot. Auf Einladung von Wolfgang Kraus besuchte er u.a. eine Lesung von Elias Canetti und hatte die Gelegenheit, den Autor persönlich kennenzulernen. Diese Begegnung sowie die große Bewunderung für Canetti führten dazu, dass Kaszyński später in Warschau eine internationale Canetti-Tagung organisierte und zahlreiche Beiträge über ihn verfasste. Neben Canetti prägten ihn besonders Franz Kafka, Joseph Roth und Ingeborg Bachmann.
1972 schrieb Kaszyński seine Habilitation über »Die Problematik der Abrechnung mit dem Krieg in der österreichischen Gegenwartslyrik«, 1978 gründete er in Poznań den ersten Lehrstuhl für österreichische Kultur und Literatur in Europa. Für die Österreich-Bibliothek in Poznań, die 1990 als eine der ersten gegründet wurde, war er jahrzehntelang als wissenschaftlicher Betreuer tätig.
Im Laufe der Jahre hielt Stefan H. Kaszyński zahlreiche Vorträge bei Symposien, die von der ÖGfL organisiert wurden, etwa zu Ödön von Horváth, Franz Kafka oder Joseph Roth. 2015 nahm er auch an einem Canetti-Symposion teil, was für ihn, wie er in seinem Beitrag für die Jubiläumsanthologie der Literaturgesellschaft schreibt, eine besonders bedeutsame Erfahrung darstellte:
»Ich referierte in Wien, in demselben Raum, in dem ich 1971 von Wolfgang Kraus Canetti vorgestellt wurde.«
Stefan H. Kaszyński (Aus: »In guter literarischer Gesellschaft. 60 Jahre Österreichische Gesellschaft für Literatur«; S. 226)
Über seine langjährigen Erfahrungen mit österreichischen Institutionen und seine Aufenthalte in Wien erzählte Stefan Kaszyński auch in einem ausführlichen Interview im September 2016, das im Zuge eines Forschungsprojekts am Institut für Germanistik an der Universität Wien über die Geschichte der ÖGfL von Ursula Ebel und Holger Englerth geführt wurde. In diesem betonte der Germanist die Vorteile Österreichs aufgrund seiner Neutralität im Zuge von Einladungen von Gästen aus ›Ost‹ und ›West‹ nach Wien in der Zeit des kalten Kriegs. Das Durchbrechen des Eisernen Vorhangs, die Kontaktaufnahme mit Institutionen im Westen war schwierig, »mit Österreich ging es aber insofern leichter, weil es ein neutrales Land war«, betonte Kaszyński.
Zuletzt durften wir ihn im November 2019 als Stipendiat in Wien begrüßen.
Stefan H. Kaszyński wird uns mit seinem Engagement für die österreichische Literatur, seiner Begeisterung für die österreichische Lyrik und seiner Verbundenheit mit der Österreichischen Gesellschaft für Literatur in Erinnerung bleiben.