Im Zentrum des gestrigen Abends im Café Central standen zwei Bücher, die der spekulativen Literatur zuzurechnen sind und die auf unterschiedliche Weise das Verhältnis zwischen Mensch, Natur und Gesellschaft reflektieren: »Stammzellen« (Kremayr & Scheriau) von Alina Lindermuth sowie »Ein sicherer Ort« (müry salzmann) von Johanna Grillmayer.
Ausgangspunkt in »Stammzellen« ist eine außergewöhnliche Idee: das Phänomen, dass Menschen sich zu Bäumen verwandeln. Bei der sogenannten »Dendrose« handelt es sich im Roman um eine neuartige Krankheit, die sich pandemieartig über die Erde verbreitet und die jede/n ab 50 Jahren kann. Beginnend mit kribbelnden Zehenspitzen und sich verfärbender Haut an den Füßen, endet die Dendrose im Zustand der Verpflanzung, der vollkommenen Metamorphose zum Anthrodendren. Zum Zeitpunkt der erzählten Zeit – acht Jahre nach Ausbruch der Krankheit – liegen die Ursachen weiterhin im Dunkeln, auch Heilmittel sind keine in Sicht. Die Protagonist Ronja, eine Ärztin, ist als ehrenamtliches Mitglied des »Dendro-Teams« mit der Betreuung der Erkrankten und ihrer Angehörigen befasst, die Krankheit ist aber auch in weit weniger naheliegende Lebensbereiche der Menschen eingesickert, etwa als Forschungsgegenstand der Sprachwissenschaft. Und auch die Wirtschaft profitiert von den vielen neuen Bedürfnissen der Betroffenen.
»Ein sicherer Ort« ist der zweite Teil von Johanna Grillmayers »Dystopia«-Trilogie. Am Anfang der Romanreihe steht eine rätselhafte Katastrophe, die den Großteil der Bevölkerung verschwinden lässt. Die Protagonistin Jola und einige ihrer Bekannten überleben durch den Rückzug in einen Weinkeller, ebenso einige andere Menschen. Im ersten Band »Thats’s Life in Dystopia« beschreibt die Autorin, wie die kleine Gruppe junger Leute in den ersten Jahren nach dem Ereignis als Familie zusammenlebt und Überlebensstrategien von der Jagd bis hin zur Instandhaltung einer Photovoltaikanlage entwickelt. Am Ende des Buches entschließen die Protagonist*innen sich dazu, umzuziehen, denn ein paar Stunden von ihnen entfernt hat sich ein Dorf gebildet. Hier, im Jahr 10 nach der Katastrophe, setzt »Ein sicherer Ort« ein. Es zeigt sich, dass das Leben in der größeren Gemeinschaft Vorteile aber auch Probleme mit sich bringt – Sexismus, Rassismus und Gewalt sind noch lange nicht überwunden. Gegenüber ihrer Nachkommen empfinden Jola und ihre Familie jedoch die Verpflichtung, eine positive Zukunft zu gestalten.
Nach der Vorstellung der Romane sowie der Lesung einiger Passagen aus beiden Büchern wurden im Gespräch mit den Autorinnen die vielen thematischen Gemeinsamkeiten deutlich. In »Stammzellen« sowie in der »Dystopia«-Reihe müssen die Protagonist*innen mit etwas Unvorhergesehenem zurechtkommen, das sie völlig aus der Bahn wirft. Beide Werke zeichnen sich durch starke Protagonistinnen sowie die Verschränkung der privaten und der politisch-gesellschaftlichen Ebene aus, ebenso spielen der Klimawandel und Naturbeschreibungen eine große Rolle.
Moderation: Nicole Kiefer
Gemeinsam mit dem Café Central Wien
Café Central, 24. März 2025
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Alina Lindermuth © ÖGfL -
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Johanna Grillmayer, Alina Lindermuth, Nicole Kiefer © ÖGfL -
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