Der gestrige Abend stand ganz im Zeichen von Lyrik, die für und auf Sozialen Medien geschrieben wurde. Ein Ort, an dem man sie nicht erwarten würde. Dafür durften wir Clemens Setz und Rhea Krčmářová in der Literaturgesellschaft begrüßen.
Clemens Setz sprach über und las aus seinem Band »Das All im eigenen Fell. Eine kurze Geschichte der Twitterpoesie« (Bibliothek Suhrkamp). Das in zwei Abschnitte geteilte Buch beginnt mit Twitter-Gedichten des Autors, ergänzt durch Kommentare und Erläuterungen, wo die Besonderheiten dieser Gedichte von ihm selbst begleitet und erklärt werden. Ausgangspunkt dieser Gedichte sind einerseits aus seinem Leben genommen, oft jedoch auch Reaktionen auf Tweets anderer Nutzer, die er als Anlass nimmt, diese weiterzuschreiben. Der zweite Teil des Buches liefert Porträts von verschiedenen Twitter-Autor*innen. Wie Manfred Müller zu Beginn des Abends erläutert, erschafft Clemens Setz somit eine Art von Literaturgeschichte eines literarischen Universums, das außerhalb unseres bekannten literarischen Kanons existiert bzw. existiert hat.
Als Clemens Setz begann seine Literaturgeschichte der Twitter-Poesie zu schreiben, war sein Eindruck, er schreibe über ein lebendiges, neues Phänomen. Plötzlich verschwanden jedoch sehr viele Accounts und Gedichte. In seinem Buch versammelt er nun lediglich seine Mitschriften, das Projekt war dadurch nur noch als eine Art Requiem möglich. In seinen eigenen Gedichten, die eigentlich nicht für ein Buch gedacht waren, reagierte er sehr viel auf andere Beiträge und zeigt somit in gewisser Weise das Umfeld und u.a. die neue Sprache auf Twitter, die er als neuen Dialekt bezeichnet. In seiner eigenen Lyrik wollte er, wie er sagt, »das unangebrachteste, falscheste schreiben, etwas das niemand für sinnvoll hält, auf Twitter zu schreiben. (…) Eine Poesie von total absurden Kombinationen.«
Anschließend begrüßte Manfred Müller Rhea Krčmářová mit ihrem Lyrikband »Tagebruch / Instant« (limbus lyrik) auf der Bühne. Die Autorin versammelt darin Gedichte, die allesamt in Instagram-Postings erschienen sind und wie eine Art Tagebuch wirken. Eine Sprecherin beobachtet und bildet dabei alltägliche Dinge und Gedanken ab.
Wie Krčmářová erläutert, starteten die Texte für sie als literarisches Experiment mit einem Medium, für das es eigentlich nicht gedacht ist, um während der intensiven Recherche für einen Roman, weiterhin zu schreiben. Gedichte sind sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch zu finden. In dem fortlaufenden Projekt, entstehen ein bis zwei Gedichte pro Woche, die alle direkt auf Instagram und meist in einem kurzen Moment geschrieben werden. Kombiniert werden die Texte, wie für das Medium typisch, stets mit einem von ihr gestalteten Foto. Die Gedichte sollten dennoch auch ohne Foto als keines Stück Literatur funktionieren. Wie Rhea Krčmářová im Gespräch außerdem erzählt, hat sie mittlerweile begonnen, ihre Texte auch in anderen sozialen Medien, so beispielsweise auf LinkedIn, zu veröffentlichen.
Den Abschluss der Veranstaltung bildete schließlich die einiger Gedichte aus ihrem Buch.
Moderation: Manfred Müller
Österreichische Gesellschaft für Literatur, 11.3.2025