
Am 18. Dezember 1961 wurde die Literaturgesellschaft im Palais Wilczek in der Herrengasse eröffnet. Am Programm standen neben einer Eröffnungsrede ihres Gründers und Leiters Wolfgang Kraus Tonaufnahmen von u.a. Marie von Ebner-Eschenbach, Ferdinand von Saar, Hugo von Hofmannsthal, Karl Kraus und Josef Weinheber sowie eine Lesung von Heimito von Doderer aus seinem neuen unveröffentlichten Roman »Die Merowinger«.
Da die Literaturgesellschaft trotz Sitz in einem Palais auch moderne Facetten zeigen wollte, kam dieser Abend ohne Streichquartett aus.
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Einladungskarte zur Eröffnungsfeier der ÖGfL
In weiterer Folge möchten wir zwölf wichtige Mitarbeiter*innen vorstellen, die die ÖGfL in den letzten 60 Jahren geprägt haben: Wolfgang Kraus, Kurt Benesch, Hella Bronold, Herbert Zand, Otto Breicha, Sylvia Peyfuss, Reinhard Urbach, Hans Haider, Helmuth Niederle, Raoul Blahacek, Kurt Klinger und Marianne Gruber.
Wolfgang Kraus (1924 – 1998) gründete in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Unterricht 1961 die Österreichische Gesellschaft für Literatur. Zuvor war er literarischer Mitarbeiter der ›Wiener Zeitung‹ und Cheflektor beim Paul Zsolnay Verlag. Kraus setzte auf die Förderung und Etablierung einer eigenständigen österreichischen Literatur, wobei er unter diesem Begriff auch jene Autor*innen verstand, die in der Donaumonarchie gelebt bzw. Wurzeln in dieser Region hatten. Er förderte die österreichische Exilliteratur und setzte zahlreiche Initiativen für einen internationalen Literaturaustausch in Wien, insbesondere auch mit Vertreter*innen der einst kommunistisch regierten Länder jenseits des Eisernen Vorhangs. Im Lauf der Jahre festigte sich die mächtige Position von Wolfgang Kraus zunehmend, er war als Juror, Verleger, Leiter einer von ihm angeregten kulturellen Kontaktstelle im Außenministerium und als TV-Moderator im ORF tätig.
Viele Maßnahmen dienten der Stärkung Österreichs und der Wiederbelebung Mitteleuropas mit Wien als Metropole im Raum der ehemaligen Donaumonarchie, deren größter Befürworter Kraus selbst war. In diesem Sinne ist auch das ausgewählte Dokument zu betrachten. In Absprache mit Bundeskanzler Bruno Kreisky versendete Kraus ein Rundschreiben an im Ausland lebende österreichische Autor*innen, mit der Bitte, ihre Anliegen an den Staat Österreich zu richten. Dieses erhielt neben u.a. Erich Fried, Peter Handke, Robert Neumannn, Gerhard Rühm, Manès Sperber und Oswald Wiener auch Arthur Koestler:
»Lieber Herr Koestler!
In seiner Regierungserklärung betonte Herr Bundeskanzler Dr. Kreisky, daß er die Verbindung Österreichs mit den im Ausland lebenden österreichischen Autoren und Persönlichkeiten des geistigen Lebens enger gestalten möchte, als das bisher der Fall war. Selbstverständlich sind sich sowohl der Herr Bundeskanzler, als auch wir der Schwierigkeit eines solchen Vorhabens bewußt, doch wäre es sehr wertvoll, wenn sich das Bundeskanzleramt mit konkreten und individuellen Vorschlägen auseinandersetzen könnte, um dann die notwendigen Schritte zu unternehmen. Es wäre zum Beispiel denkbar, daß über die bisherigen Möglichkeiten hinaus günstige Bedingungen für einen kürzeren oder längeren Aufenthalt in Österreich geschaffen werden, man könnte auch an Gastvorlesungen an einer österreichischen Universität oder an eine Vortragsreise denken. Herr Bundeskanzler Kreisky sprach den Wunsch aus, konkrete Vorschläge von den einzelnen Herren selbst zu erhalten, um sich über die verschiedenen Aktionen, die durchzuführen wären, Klarheit zu verschaffen.
Ich wäre Ihnen für eine Antwort dankbar.
Mit herzlichem Gruß und allen guten Wünschen
Ihr
Dr. Wolfgang Kraus«
Bis 1994 blieb Wolfgang Kraus Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Literatur und prägte ihr Profil in all diesen Jahren maßgeblich und teilweise im Alleingang.
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Wolfgang Kraus © Otto Breicha / IMAGNO -
Brief von Wolfgang Kraus an Arthur Koestler, 4.9.1970, ÖGfL-Archiv © ÖGfL
Kurt Benesch (1926 – 2008) lebte nach einem Studium der Germanistik und Theaterwissenschaft als freier Schriftsteller in Wien; sein umfangreiches Werk umfasst neben zahlreichen Romanen auch Sachbücher, Theaterstücke, Kinder- und Jugendbücher, Hörspiele, Drehbücher, Essays, Feuilletons und Satiren.
In den 1950er Jahren Mitarbeiter der Grillparzer Gesellschaft, wechselte er 1961 gemeinsam mit Wolfgang Kraus zu der neugegründeten Gesellschaft für Literatur. Hier war er vor allem für die Leitung und Organisation des ›Forums der Jugend‹ zuständig, einer Veranstaltungsreihe für Schüler*innen und Studierende, die Seminarcharakter hatte und bei der neben Lesungen und Vorträgen auch die Diskussion mit den eingeladenen Autor*innen und Forscher*innen im Fokus stand. Dass das ›Forum der Jugend‹ ein großer Erfolg war, konnte Kurt Benesch im September 1969 in einer Aussendung an die Direktionen der Gymnasien berichten:
»Sehr geehrte Direktion!
Die Veranstaltungen des FORUMS DER JUGEND waren auch im Schuljahr 1968/69 ein voller Erfolg. Besuch und Mitarbeit der jungen Teilnehmer waren äusserst zufriedenstellend, und wir danken auch Ihnen dafür, denn nicht zuletzt durch Ihre Mithilfe kam dieser Erfolg zustande.
Neben den prominenten Autoren Julius Hay und Johannes Urzidil hatten wir u.a. den Joseph Roth-Forscher Prof. David Bronsen, University of St.Louis, U.S.A. (über Joseph Roth) und Univ.Ass. Dr. Kampits (über Albert Camus) zu Gast. Diskussionen fanden anlässlich der Aufführung von Vaclav Havels „Von der Schwierigkeit, sich zu konzentrieren“ und der Aufführung „Prozess in Nürnberg“ von Rolf Schneider im Burgtheater statt. Abende über „Das Österreichbild in der zeitgenössischen Literatur“ über A.P. Gütersloh, das Thema „Ist Schönheit messbar?“ sowie eine szenische Lesung von Schülern des Wiener Reinhardt-Seminars „Poeten und Barrikaden“ ergänzten das Programm. Weiters erhielten interessierte Teilnehmer des FORUMS DER JUGEND Freikarten zum „Prozess in Nürnberg“ sowie zu etlichen Aufführungen des „Kleinen Theaters der Josefstadt im Konzerthaus“ mit anschließender Publikumsdiskussion. (Über den erfolgreichen Verlauf unserer Veranstaltungsreihe berichtet auch die Zeitschrift „Neue Wege“ vom September dieses Jahres).
Wir werden also in ähnlicher Weise auch das Programm für dieses Schuljahr gestalten und wir bitten Sie, auch diesmal wieder mitzuhelfen und die Professoren, die in den 7. und 8. Klassen Deutsch unterrichten, von unseren Veranstaltungen in Kenntnis zu setzen. Einladungen dazu bekommen Sie jeweils rechtzeitig. Beiliegend die erste Einladung dieses Schuljahres.
Herzlichen Dank und beste Empfehlungen
Kurt Benesch«
Kurt Benesch war bis 1981 Mitarbeiter der ÖGfL.
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Kurt Benesch © Otto Breicha / IMAGNO -
Brief von Kurt Benesch an die Direktionen von Wiener Schulen, September 1969, ÖGfL-Archiv © ÖGfL
Hella Bronold (1915–2002) arbeitete nach 1945 als Dolmetscherin für die Alliierten und danach im Innenpolitik-Ressort des ›Kurier‹. Sie war von Anfang an in der ÖGfL als Sekretärin und Kassierin tätig und wird von Zeitzeug*innen als »der gute Geist der Gesellschaft für Literatur« beschrieben. Als enge Mitarbeiterin von Wolfgang Kraus wusste sie über alle wichtigen finanziellen Angelegenheiten Bescheid, kümmerte sich in seiner Abwesenheit um das Tagesgeschäft sowie um die Betreuung insbesondere der internationalen Gäste. Darüber hinaus übernahm Hella Bronold, die auch als Übersetzerin aus dem Amerikanischen tätig war, Übersetzungen und Korrespondenzen in englischer Sprache.
Dass vor allem der persönliche Kontakt zu den Autor*innen ihr Steckenpferd war, zeigt folgender Brief an Thomas Bernhard, mit dem sie einen freundschaftlich-legeren Umgang pflegte:
»Lieber Herr Bernhard,
Ich tät Sie so gern einmal in Ohlsdorf überfallen, aber auch heuer ist es mir nicht ausgegangen! Nun bin ich – leider – vom Urlaub zurück und muss die Einladungen vorbereiten. Vor dem Urlaub war so ein Trubel, dass ich unsere Vereinbarung nicht mehr schriftlich festgehalten habe, und nun sitze ich in der Tinte. Seien Sie ein Engel und schicken Sie mir ein Telegramm, ob Sie – Hand aufs Herz – am 18. Oktober bei uns lesen wollen. Mir geht’s wie dem Grafen Bobby: diese schreckliche Ungewissheit!
Mit herzlichen Wünschen
Ihre Hella Bronold«
Dieser Einladung, am 18. Oktober 1973 in der ÖGfL aufzutreten, kam Thomas Bernhard nach. Der Audiomitschnitt seiner Lesung aus der Erzählung »Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie?« ist im Archiv der Österreichischen Mediathek zu finden: https://www.mediathek.at/atom/0178296F-351-007B1-00000BEC-01772EE2
Hella Bronold arbeitete bis zu ihrer Pensionierung im März 1984 in der ÖGfL.
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Brief von Hella Bronold an Thomas Bernhard, 5.9.1973, ÖGfL-Archiv © ÖGfL -
Hella Bronold © Otto Breicha / IMAGNO
Herbert Zand (1923 – 1970) wurde mit 17 Jahren zum Kriegsdienst eingezogen und erlitt bei seinem Einsatz an der Ostfront schwere Verwundungen. Ab den 50er Jahren lebte er als Übersetzer und Schriftsteller in Wien, wobei sein Werk neben Romanen und Erzählungen Lyrikbände, Essays und autobiografische Aufzeichnungen umfasst. Breite Aufmerksamkeit erregte der autobiografische Roman »Letzte Ausfahrt«.
In den 50er Jahren war er zudem als Verlagslektor, später als Außenlektor des Österreichischen Rundfunks tätig. 1961 wechselte er in die neugegründete ÖGfL, wo er u.a. für die Beurteilung von zugesandten Manuskripten verantwortlich zeichnete. Dass die Förderung von talentierten Autor*innen ihm ein Anliegen war, wird etwa in der folgenden Anfrage an den Redakteur Manfred Moschner deutlich:
»Lieber Herr Moschner,
Problembelastet, komme ich heute mit einer Bitte zu Ihnen. Wir machen hier auch eine Art Lektorat. Was uns vorgelegt wird, ist leider meist uninteressant. Aber manchmal ist doch ein Autor dabei, dem man ein wenig weiterhelfen möchte. Meine Bitte: könnten Sie mir eine oder mehrere Adressen von Agenturen mitteilen, die Kurzgeschichten annehmen? Selbstverständlich wollen wir nur Manuskripte vermitteln, die einzigermaßen akzeptabel sind, und wir möchten dabei auch gar nicht Ihren Namen nennen – ich bitte Sie wirklich nur um eine Information.
Entschuldigen Sie, wenn ich mich dabei an Sie wende, aber ich hoffe, dass Sie mit solchen Agenturen in Verbindung stehen.
Mit allen guten Wünschen für Sie
Ihr Herbert Zand«
Herbert Zand arbeitete bis zu seinem Tod 1970 in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur. An ihn erinnert nicht nur eine von der ÖGfL gestiftete Gedenktafel an seinem Wohnhaus in der Oppolzergasse in Wien, sondern auch eine Tafel an seinem Geburtshaus in Knoppen bei Bad Aussee/Steiermark. Zudem wurde eine Gesamtausgabe von Herbert Zands Werken im Europaverlag von Wolfgang Kraus herausgegeben, mit dem ihm eine enge Freundschaft verbunden hatte.
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Herbert Zand © Otto Breicha / IMAGNO -
Brief von Herbert Zand an Manfred Moschner, 26.1.1967, ÖGfL-Archiv © ÖGfL
Otto Breicha (1932 – 2003) war bereits Literaturkritiker beim ›Kurier‹, als er 1962 in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur zu arbeiten begann. Er forcierte den Kontakt zur und die Propagierung der österreichischen Avantgarde-Literatur wie etwa der Wiener Gruppe und der Grazer Gruppe. Im Rahmen seiner Tätigkeit im Palais Wilczek lernte er auch den Autor und Redakteur Gerhard Fritsch besser kennen, da die Redaktion von den Literaturzeitschriften ›Wort in der Zeit‹ und ›Literatur und Kritik‹ in denselben Räumlichkeiten untergebracht waren. Gemeinsam gründeten die beiden eine eigene Literaturzeitschrift, die ›protokolle‹, die Breicha im Alleingang bis zu deren Einstellung 1997 herausgab.
Breicha war zudem als Fotograf tätig, zahlreiche herausragende Fotoportraits von u.a. Ernst Jandl, Elfriede Jelinek, Peter Handke oder Manès Sperber stammen von ihm. Eine Auswahl finden Sie hier: https://www.ogl.at/sammlungen/galerie/pawlatsche/
Bemerkenswert ist der launig-unmittelbare Tonfall seiner Briefe, wie etwa in jenem an Gundl Nagl vom Residenz Verlag:
»Liebste & Werteste!
Es gibt Grausameres als Ihr Dschunkentraining. Das harte Dasein wird es Ihnen wohl noch lehren. Aber davon soll dieser Brief nicht handeln.
Ich hab es zwar auch schon läuten hören, dass ich den Amanshauser einschmusen soll, aber Gewisses weiss man nicht (und werd es wohl erst kurzfristig erfahren). Das soll ja auch am Salzachstrand nicht anders sein. Aber auch davon will ich stille schweigen.Wenn ich also reden werde, so red ich meinetwegen auch mit Ihnen über Verlags- und Reihenbelange (und werde mir ein paar scharfe Fragen ausdenken, dialektische, die den Kern ins Herz treffen). Meinetwegen werde ich mich auch mit dem Meister Amanshauser unterhalten, worüber wir uns unterhalten sollen, wenn wir uns am Abend unterhalten müssen. Nachdem ich ja eh immer zu erreichen bin, können Sie mich ja kurzfristig in dieser Sache festnageln.
Sprach ich Jung-Handken, als er kürzlich kurz in Wien weilte. Er wurde vom Meister Schaffler, dem frohgemuten Urlauber und Problemflüchtling, für den 4. eingekauft, wähnt aber, dass die grosse Besetzung mit dem grossen Artmann einrückt. Wird’s halt am 4. ein Schnoferl geben, aber was schiert das Schafflern…
Bittschön noch eines: Der Meister Urbach, der an meiner grünen Seite die Literatur pflegt, soll mit dem Meister Amanshauser am 11. Oktober zwischen 10,30 und 11 h im Rundfunk ein Werkstattgespräch produzieren. Bittschön dem Quaden-Forscher zu stecken, dass er sich mit dem Meister Urbach zeigerecht was fixiert.
Für heut hätt ich mich wieder erschöpft!
Mit einem devoten Handkuss
Ihres:
Otto Breicha«
Ab 1965 war Breicha als stellvertretender Leiter tätig, 1972 verließ er die ÖGfL und gründete das Kulturhaus der Stadt Graz.
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Brief von Otto Breicha an Gundel Nagl, 27.9.1968, ÖGfL-Archiv © ÖGfL -
Otto Breicha © Otto Breicha / IMAGNO
Sylvia Peyfuss, geboren 1943, war die Chefsekretärin der Österreichischen Gesellschaft für Literatur, als der Umzug nach Wien von Stanisław Lem bevorstand.
Im Zuge von Wolfgang Kraus‘ und Stanisław Lems Begegnung bei einem gemeinsamen Aufenthalt am Wissenschaftskolleg in Berlin 1982 kam es zur offiziellen Einladung durch die ÖGfL an Lem und seine Familie nach Wien, die für einen längeren, finanziell abgesicherten Aufenthalt notwendig war. Lem war mit seiner Familie zuvor nach Berlin geflohen, da der damalige Ministerpräsident Jaruzelski das Kriegsrecht in Polen verhängt hatte. Sylvia Peyfuss, Mitarbeiterin der ÖGfL von 1964 bis 1966 und von 1976 bis 1994, nahm sich der gesamten rechtlichen und finanziellen Organisation des Aufenthaltes der Familie in Wien an. Sie schaltete zudem Wohnungsanzeigen in Tageszeitungen, kümmerte sich um die Formalitäten beim Umschreiben der Führerscheine des Ehepaar Lems, organisierte Reisen für die Familie nach Krakau 1983, wobei Stanislaw Lem betonte, nicht in einem sowjetischen Schlagwagen reisen zu wollen. Sie bereitete die Amtswege der Familie Lem akribisch vor, wie aus diesem Brief vom 26. Juni 1984 an Stanislaw Lem hervorgeht:
»Lieber Herr Lem,
ich schicke Ihnen nun doch, damit Sie’s schwarz auf weiß haben, sicherheitshalber die Adressen der offiziellen österreichischen Stellen in Warschau.
Mittlerweile habe ich auch die Zimmernummer im Verkehrsamt eruiert:
Verkehrsamt Wien
1090, Türkenstraße 22a
2 Stock, Zimmer 240
Bitte, nicht vergessen: Paß und Stempelmarken 1 x 600 ,–
1 x 120 ,–Wie schon gesagt, die Stempelmarken bekommt man in jeder Tabaktrafik (aber auch im Verkehrsamt selbst, nicht im selben Zimmer 240, sondern am gleichen Stock in einem Zimmer davor mit der Aufschrift „Stempelmarken“) oder „Verschleißstelle“, so genau habe ich die Bezeichnung nicht mehr in Erinnerung).
Ich hoffe, nichts Wichtiges vergessen zu haben und wünsche Ihnen und mir eine recht flotte Genesung, damit ich Sie auch wirklich noch vor Ihrer Polenreise bei uns in Maria Enzersdorf begrüßen kann! Wir könnten Sie ja auch in der Genéegasse abholen, damit Sie Ihre Kräfte für die große Reise schonen können.
Alles Gute und liebe Grüße an die Frau Doktor
Sylvia Peyfuss«
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Sylvia Peyfuss © Otto Breicha / IMAGNO -
Sylvia Peyfuss an Stanisław Lem, 26.6.1984, ÖGfL-Archiv © ÖGfL
Reinhard Urbach, geboren 1939 in Weimar/DDR, wanderte 1957 ohne seine Eltern in die BRD aus, wo er zunächst in Bonn und später in Wien studierte. Durch ein Empfehlungsschreiben seines Professors Richard Allewyn gewährte Heinrich Schnitzler Urbach Zugang zum Archiv seines Vaters Arthur Schnitzler. Urbach lebt seit 1964 in Wien. Seit 1968 war er in der Literaturgesellschaft tätig. Hier war er als Germanist insbesondere mit der Betreuung der Auslandsgermanistik, mit der Konzeption des literarischen Programms der ÖGfL, mit Büchersendungen u.a. in sein ehemaliges Heimatland DDR und als Vortragsreisender (etwa gemeinsam mit Barbara Frischmuth 1971) tätig. Im Rahmen der Konzeption des Veranstaltungsprogramms setzte Urbach sich insbesondere auch für jüngere Autor*innen wie Wolfgang Bauer, Barbara Frischmuth und Michael Scharang ein. Urbach wollte genau diese Literatur fördern, kündigte bei der ÖGfL und gründete 1975 gemeinsam mit der Stadt Wien das Literarische Quartier Alte Schmiede. Ab 1979 war er als Leiter der Dramaturgie am Burgtheater tätig, später am Theater der Jugend von 1988 bis 2002.
Der ausgewählte Brief an Michael Scharang vom 23. Oktober 1973 steht für Urbachs Förderung einer jüngeren Generation an Autor*innnen, er betont darin seinen Einsatz für ein höheres Honorar sowie einen gelungen Radiobeitrag im Mittagsjournal des Österreichisches Rundfunks:
»Lieber Herr Scharang,
wie Sie wohl schon gehört haben, bin ich leider am nächsten Dienstag bei Ihrer Lesung nicht dabei, da ich selber einen Vortrag zu halten habe. Wenigstens aber habe ich Ihr Buch schon gelesen. Ich konnte auch erreichen, daß wir Ihnen für den halben Abend S 750.- zahlen. Mehr ist in unserem Budget nicht drin, betrachten Sie Ihre Lesung deshalb bitte auch als Werbung für Ihr Buch.
Falls Sie am Dienstag zufällig die Reklamesendung für die Lesung im ORF hören sollten, entweder im Mittagsjournal oder in „Kreise, Punkte, Linieren“ um 17 Uhr 45, so seien Sie bitte nicht enttäuscht, daß Sie kaum vorkommen, ich habe zwar Ihr Statement vom Fernsehen benützen können, dort hatte man es aber offenbar schon so zusammengeschnitten, daß außer der Lesung aus Ihrem Buch nur etwa 10 Sekunden unverbindliches Statement übriggeblieben sind. Nur das konnte ich also verwenden.
Mit herzlichem Gruß
Reinhard Urbach«
Reinhard Urbach war bis 1975, zuletzt als stellvertretender Leiter, in der ÖGfL tätig.
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Brief von Reinhard Urbach an Michael Scharang, 23.10.1973, ÖGfL-Archiv © ÖGfL -
Reinhard Urbach © Otto Breicha / IMAGNO
Hans Haider, geboren 1946, war ab 1974 bei der Tageszeitung ›Die Presse‹ tätig, zuerst als Redakteur, später als Verantwortlicher der Literaturbeilage ›Literaricum‹ bzw. der Samstagsbeilage ›Spectrum‹, ab 1992 als Leiter des Kulturressorts, zuletzt als Koordinator für das Staatsvertrags-Jubiläumsjahr 2005. 1991 erhielt der Kulturjournalist, der auch zahlreiche literarische Sammelbände herausgab, den ›Österreichischen Staatspreis für Literaturkritik‹.
Bevor Hans Haider seine journalistische Karriere begann, arbeitete er für zwei Jahre (1972 –1974) in der ÖGfL, als – wie er selbst sagt – »kleinster Zwerg in der Hierarchie«. Neben Büroarbeit und der Versendung von Büchern zählte vor allem die Betreuung der ausländischen Gäste zu seinen Aufgaben, die er als einer der wenigen motorisierten ÖGfL-Mitarbeiter*innen oftmals vom Bahnhof oder Flughafen abholte. Für viele Stipendiat*innen aus dem Osten stellte er somit die erste Begegnung auf westlichem Boden dar.
Hans Haiders Initiative ist auch der erste Auftritt Michael Köhlmeiers in der ÖGfL zu verdanken, der am 2.Oktober 1974 im Rahmen der Veranstaltung »Junge Vorarlberger Autoren« aus seinem Stück »Zu hassen und zu lieben« las. Dass der spätere Kulturjournalist sich besonders für die Literatur aus dem Westen Österreichs interessierte, wird auch aus dem folgenden Brief an den Tiroler Schriftsteller Hans Haid deutlich:
»Sehr geehrter Herr Haid!
Ich habe in den letzten Monaten etliches von Ihnen gelesen und gehört. Es würde mich sehr freuen, Sie einmal persönlich kennenzulernen, unter anderem auch deshalb, weil ich ein Verehrer des Ötztales und seiner Bewohner bin. Rufen Sie mich bitte an, so daß wir einen Termin vereinbaren können!
Mit den besten Grüßen vom Komparativ an den Positiv
Dr. Hans Haider«
Als Journalist und Redakteur berichtete er nach seiner Kündigung bei der ÖGfL oftmals über deren Aktivitäten, durchaus auch mit einer kritischen Grundhaltung.
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Brief von Hans Haider an Hans Haid, 13.9.1972, ÖGfL-Archiv © ÖGfL
Helmuth A. Niederle, geboren 1949, begann bereits 1973 als studentischer Mitarbeiter in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur zu arbeiten, für die er bis Ende 2011 tätig war, zuletzt als stellvertretender Leiter. Seit 2011 ist er Präsident des Österreichischen P.E.N.-Clubs. Anfangs in der ÖGfL primär mit Botengängen und Büchersendungen betraut, setzte sich Helmuth A. Niederle in den 1990er und den 2010er Jahren maßgeblich für eine globale Öffnung des Programms der Österreichischen Gesellschaft für Literatur ein. In diesem Zeitraum waren etwa Li Ang (Taiwan), Assia Djebar (Algerien), Milton Hatoum (Libanon/Brasilien), Miguel Mejides (Kuba), Galsan Tschinag (Mongolei) und Archie Weller (Australien) u.v.w. zu Gast. 1999 organisierte er ein großes Symposion mit dem Titel »Wir sind die Wunder, um die bittere Frucht der Zeit zu kosten. Afrika, Diaspora, Literatur und Migration«, welches von 12.-15. April 1999 stattfand und bei dem Teilnehmer*innen aus über 15 Ländern anwesend waren, u.a. Jean Ziegler (Schweiz), Ben Okri (Nigeria/GB), Aminata Sow Fall (Senegal) und der diesjährige Literaturnobelpreisträger Abdulrazakh Gurnah (Tansania/GB). Vor der Veranstaltung lief die Korrespondenz über Gurnahs Verlag, nach dem Symposion korrespondierten die beiden nicht nur in lockerer Du-Form, sondern Helmuth A. Niedlere war auch zu Gurnahs Übersetzer geworden:
»Dear Abdulrazak,
all documents of our symposion “Africa, Diaspora, Literature and Migration”, which was held last spring, are translated, therefore most probably during April 2000 the volume can be available. The translation of your novel “Admiring Silence” is on a good way, in autumn 2000 it should be ready for the bookfair in Frankfurt. Bruxelles informed us, they will subsidize most probably the symposion, so a small amount of money can be given to you for printing your paper. Please send me your banking connection.With best wishes
Helmuth A. Niederle«
Die Übersetzung von »Admiring Silence« erschien in der Edition Kappa/München im Jahr 2000 mit dem Titel »Donnernde Stille«.
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Brief von Helmuth Niederle an Abdulrazak Gurnah, 30.11.1999, ÖGfL-Archiv © ÖGfL -
Helmuth Niederle © Otto Breicha / IMAGNO
Raoul Blahacek, geboren 1948, fing nach seinem Studium 1975 in der Literaturgesellschaft an zu arbeiten. Er war für die Betreuung von Veranstaltungen und Gästen, die Abwicklung von Büchersendungen und die Korrespondenz mit Verlagen, Bundesministerien und Autor*innen betraut. Zudem war er wie etwa auch Herbert Zand für die Betreuung von unbekannteren, jungen Autor*innen und deren diversen Anliegen zuständig.
So antwortete er Monika Helfer-Friedrich (heute Monika Helfer), die einen 15-seitigen Prosatext an die Literaturgesellschaft zur Begutachtung geschickt hatte:
»Sehr geehrte Frau Helfer-Friedrich,
für die Zusendung Ihrer Arbeit danke ich Ihnen sehr. Herr Mantler, der nur vorübergehend in der Gesellschaft tätig war, hat mich auf Ihre Prosa aufmerksam gemacht, die ich mit Interesse gelesen habe. Die Fortsetzung würde mich natürlich interessieren, Ihre kritischen Betrachtungen zum Thema Land scheinen mir recht gut gelungen.Im Rahmen unseres Veranstaltungsprogramms denken wir daran, einmal einen Abend mit Vorarlberger Autoren zu gestalten, es würde uns freuen, wenn Sie den Weg nach Wien dann nicht scheuen würden.
Mit den besten Wünschen für Ihre weitere Arbeit und
Mit freundlichem Gruß
Raoul Blahacek«
Die erste Lesung mit Monika Helfer kam erst Jahre später, am 17. März 1998, in der Literaturgesellschaft zustande.
Raoul Blahacek war bis 1985 in der ÖGfL tätig, dann folgte er 1986 Reinhard Urbach als Referatsleiter der Kulturabteilung der Stadt Wien nach.
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Brief von Raoul Blahacek an Monika Helfer, 16.2.1976, ÖGfL-Archiv © ÖGfL
Kurt Klinger (1928 – 2003) hatte sich bereits als Autor, Dramaturg und Übersetzer einen Namen gemacht, als er 1978 als stellvertretender Leiter in der ÖGfL anfing. Bekannt wurde er 1954 mit seinem Nachkriegsdrama »Odysseus muß wieder reisen«. Später war er als Literaturkritiker und Chefdramaturg an Bühnen in Linz, Graz, Düsseldorf und Frankfurt a.M. und in Zürich tätig. Von 1979 bis 1991 fungierte Kurt Klinger als Herausgeber und verantwortlicher Chefredakteur der bedeutenden Literaturzeitschrift ›Literatur und Kritik.‹ In der ÖGfL war Kurt Klinger nicht nur an der Programmplanung maßgeblich beteiligt, sondern machte Vortragsreise etwa nach Frankreich (1979) oder nach Schottland (1980), führte Verhandlungen mit Ministerien, betreute internationale Germanist*innen und Veranstaltungen sowie zahlreiche Werksgespräche mit österreichischen Autor*innen für Wiener Schulen. Im Zuge der Planung dieser Gespräche wandte er sich 1983 auch an Elfriede Jelinek, die unter der Bedingung, dass sich die Veranstaltung ausschließlich an Schüler*innen richten sollte, zusagte. Dies konnte Kurt Klinger am 4. August 1983 bestätigen:
»Liebe Frau Jelinek,
herzlich danke ich Ihnen für Ihre Bereitschaft, am 4. Oktober, 16 Uhr, hier im Palais Wilczek ein Werksgespräch mit Schülern aus der Oberstufe der AHs zu führen. Selbstverständlich handelt es sich um eine interne Veranstaltung, die nicht zu öffentlichem Besuch freigegeben ist. Es besteht auch kein Schema für die Durchführung – das Gespräch entwickelt sich völlig frei und kann von Ihnen in jede von Ihnen gewünschte Richtung gelenkt werden. Wir erwarten Sie also am besprochenen Tag und senden Ihnen beste Grüße!Prof. Kurt Klinger«
Bis 1993 war Kurt Klinger in der ÖGfL tätig.
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Kurt Klinger © H.Heide -
Brief von Kurt Klinger an Elfriede Jelinek, 4.8.1983, ÖGfL-Archiv © ÖGfL
Marianne Gruber, geboren 1944 in Wien, veröffentlichte ab den 1980er Jahren als freie Schriftstellerin Prosa, Lyrik, Essays u.a. Seit 1980 war sie zudem als Moderatorin des ›Club 2‹ im ORF tätig. Die Österreichische Gesellschaft für Literatur hatte sie als Autorin kennengelernt, 1994 folgte sie Wolfgang Kraus als Leiterin nach. Marianne Gruber setzte sich von Beginn an für eine engere und bessere Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Institutionen im In-und Ausland ein, führte die von Wolfgang Kraus bereits initiierte Förderung von Übersetzungen österreichischer Literatur engagiert fort und hatte als Schriftstellerin insbesondere für die Anliegen der Autorinnen und Autoren ein offenes Ohr. So initiierte sie etwa 2010 ein Programm für Schreibaufenthalte österreichischer Autor*innen in einem Häuschen in Italien.
Zudem führte sie zahllose Vortrags- und Lesungsreisen durch viele ehemals kommunistisch regierte Staaten durch und trat dadurch mit vielen Personen, die sie lediglich durch Korrespondenzen kannte, in direkten Kontakt. Das Netzwerk von Wolfgang Kraus führte sie demnach nicht nur weiter, sondern vergrößerte es auch auf globaler Ebene. Letzteres insbesondere gemeinsam mit ihrem Stellvertreter Helmuth A. Niederle.
2002 gratulierte sie Imre Kertész zu seiner Auszeichnung mit dem Literaturnobelpreis und erinnerte dabei auch an ihr Aufeinandertreffen in der ÖGfL:
»Verehrter Herr Kertész,
mit großer Freude und auch ein wenig mit Stolz haben wir von der Verleihung des Nobelpreises an Sie erfahren. Mit Freude, weil Sie der Preisträger sind, und mit Stolz, weil sie mehrmals in unserem Haus zu Gast waren.
Der inzwischen verstorbene Dr. Kraus, der Sie damals eingeladen hat (und dessen Nachfolgerin ich bin), hätte sich wahnsinnig gefreut, so, wie es das ganze Haus tut.
Es gibt zwar kein Entgelt für erlittene Geschichte, aber vielleicht ist es die Nobelpreis-Verleihung an Sie – zusätzlich zur Würdigung Ihres literarischen Werks – doch in einer gewissen Weise.
Mit allen guten Wünschen
Ihre
Marianne Gruber
(Präsidentin)Und die Mitarbeiter der Österreichischen Gesellschaft für Literatur
P.S.: Sie werden sich an mich als Randfigur jener Jause nicht mehr erinnern können, die Sie in Ihren »Bagatellen« beschrieben haben. Vielleicht komme ich doch wieder einmal in den Genuß Ihrer Gesellschaft!«
Marianne Gruber war bis 2014 Präsidentin der Literaturgesellschaft, anschließend war sie als Präsidentin des Österreichischen Schriftstellerverbandes tätig.
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Brief von Marianne Gruber an Imre Kertész, 15.10.2002, ÖGfL-Archiv © ÖGfL -
Marianne Gruber und Efriede Ott © H. Heide