Der gestrige Abend war der Autorin Susanne Gregor und ihrem Roman »Halbe Leben« (Zsolnay) gewidmet. Moderiert wurde die Veranstaltung von Manfred Müller. Susanne Gregor sprach über ihren Arbeitsprozess sowie ihre Herangehensweise an den Roman, las zwei Stellen vor und beantwortete abschließend Fragen des Publikums.
»Halbe Leben« dreht sich um das Leben dreier Frauen, zunächst um Irene, die alt und krank ist, kürzlich einen Herzinfarkt erlitten hat, nun nicht mehr allein leben kann und auf Hilfe angewiesen ist. Dann Irenes Tochter Klara, sie arbeitet in einem Architekturbüro, steht mitten im Berufsleben und macht sich auf die Suche nach einer 24-Stunden-Pflege für ihre Mutter. Paulina ist die dritte der Hauptfiguren, sie ist eine aus der Slowakei kommende Pflegerin, die von Klara angestellt wird und mit der Zeit zu einer Art Familienmitglied wird.
Susanne Gregor hat in diesem Roman das Motiv zwischen zwei Ländern zu leben aus ihren letzten beiden Büchern (»Das letzte rote Jahr« (2019) und »Wir werden fliegen« (2023)) wieder aufgenommen, hier jedoch grundlegend anders umgesetzt. Reaktionen auf den aktuellen Roman sind ausschließlich positiv ausgefallen, es ist ein Buch, das ungewöhnlich ist und hervorsticht, unter anderem durch die Themenwahl. Dargestellt wird das Leben verschiedener Figuren auf engstem Raum, die aus unterschiedlichen sozialen und ökonomischen Schichten kommen. Dadurch ist die Gefahr für Missverständnisse, Neid und Überlegenheitsgefühle groß und unbewusste Beleidigungen und falsche Vorurteile sind vorprogrammiert. Jedoch wird die Handlung behutsam dargestellt, sodass die Ahnungslosigkeit der einen Figur der anderen gegenüber nachvollziehbar und begreifbar wird.
Susanne Gregors Erzählstimme ist sehr nah an den Figuren, der Roman ist besonders von schnellen Tempuswechseln gekennzeichnet, die die Unsicherheit der Figuren widerspiegeln. Weiters punktet Gregor mit ihrer Genauigkeit in der Beobachtung sowie der Kunst der Darstellung von Menschen und Situationen anhand weniger Andeutungen. Ihre Beschreibungen sind wie Alltagsskizzen ohne Erklärungen, denen Bilder erwachsen, die das Setting, die handelnden Personen und die Welt, aus der diese kommen, detailreich wiedergeben. Die Wahl von vielen kurzen Gliedsätzen verleitet Leser*innen zu schneller Lektüre und lädt zum Mitfiebern ein.
Moderation: Manfred Müller
Österreichische Gesellschaft für Literatur, 30.01.2025