Milo Dor: »Die weiße Stadt« (Hoffmann & Campe)
Österreichische Gesellschaft für Literatur, 25. September 1969
Milo Dor (1923-2005) war Schriftsteller und Übersetzer.
Als Zwangsarbeiter nach Wien gekommen, bleibt er nach Kriegsende in dieser Stadt. Er wird Student der Theaterwissenschaften und Romanistik. Mit Charme, aber ohne Geld, engagiert er sich im Kulturbetrieb. Er veröffentlicht Artikel in Zeitschriften wie etwa ›Akademische Rundschau‹, ›Strom‹ oder ›Forvm‹ und wird Mitarbeiter der Literaturzeitschrift ›Plan‹. Dann das Jahr 1947. Der erste Erzählband »Unterwegs« erscheint im Erwin Müller Verlag. Der Student Milutin Doroslovac ist nun der Schriftsteller und Übersetzer Milo Dor geworden.
Dass sein Leben diese Wendung nehmen würde, war nicht immer so klar. In Budapest als Sohn eines serbischen Landarztes geboren, wächst Doroslovac ab 1933 in Belgrad auf. In seiner Jugend zieht es ihn zur Literatur und Politik. So schließt er sich 1940 dem ›Ortskomitee des Bundes der kommunistischen Jugend Jugoslawiens‹ an und versucht sich als Lyriker auf Serbokroatisch.
Zwei Jahre später wirft ihn die serbische Spezialpolizei, die die nationalsozialistischen Besatzer unterstützt, ins Gefängnis. Er wird gefoltert und 1943 als Zwangsarbeiter nach Wien geschickt. Ein Jahr danach nimmt ihn hier die Gestapo fest und drangsaliert ihn. Er bleibt.
Und ebendieser Mann steht nun 1951 vor der ›Gruppe 47‹. Hans Werner Richter hatte ihn eingeladen aus seinem Roman »Tote auf Urlaub« zu lesen. Der Auftritt ist ein Erfolg und Dor nun Teil der Gruppe. Im darauffolgenden Jahr erscheint der autobiographische Roman in der Deutschen Verlagsanstalt. Der Text handelt von einem Jungkommunisten, den seine Parteigenossen ausschließen und der sich seinen Weg durch Konzentrationslager und Gefängnisse schlägt. Es ist Dors literarischer Durchbruch und der erste Teil der Romantrilogie »Die Raikow Saga«, dem 1959 »Nichts als Erinnerung« und 1969 »Die weiße Stadt« folgen. Die Gesamtausgabe erschien 1979 bei Langen-Müller.
Milo Dor war für seinen Geist und Witz bekannt. In seiner Grabrede auf Dor erinnert sich Michael Scharang an seine letzte Begegnung mit dem Freund:
»Im Frühsommer dieses Jahres verabredeten Milo Dor und ich uns zum Mittagessen. Am Telefon wirkten wir beide arbeitsbesessen, so bezeichnete Dor das Thema meines Romans als sein altes Lieblingsthema, dem er sich bald wieder nähern werde, ich sagte über seinen Plan für ein neues Buch, einen ähnlichen Plan trüge ich mit mir herum, fühlte mich aber für eine Realisierung noch nicht reif. Außerdem versicherten wir einander, nach dem Essen sogleich nach Haus zu gehen und weiterzuarbeiten, denn wir wußten aus Erfahrung, daß ein Mittagessen, gab man absichtlich nicht acht, spätabends enden kann. Der Tag kam, wir aßen und redeten und zahlten und gingen, jedenfalls bis vor die Tür des Gasthauses. Milo Dor blieb stehen und beobachtete jemanden auf der anderen Straßenseite. Ich folgte seinem Blick, sah aber niemanden. Er klärte mich auf: Dort geht mein anderes Ich. Es geht nach Haus, um zu arbeiten. Wir aber gehen spazieren. Schau, es scheint die Sonne.«
(›Literatur und Kritik‹, Salzburg, März 2006)
In der Literaturgesellschaft trat er zwischen 1962 und 2004 19 Mal auf. Am 25. September 1969 las er aus seinem Roman »Die weiße Stadt«.