Jakov Lind: »Balladen – Gedichte – Bilder« (unveröffentlicht)
Österreichische Gesellschaft für Literatur, 8. April 1976
Jakov Lind (1927 – 2007), als Sohn ostjüdischer Eltern in Wien geboren, konnte 1938 durch einen Kindertransport in die Niederlande flüchten. Nach der Besetzung Hollands gelang es ihm abermals, zu überleben; der Sechzehnjährige ging mit gefälschten Papieren nach Deutschland und arbeitete dort erst als Schiffsjunge, später als Kurier für das Reichsluftfahrtministerium. Nach dem Krieg lebte er anfänglich in Palästina und kehrte kurzzeitig nach Wien zurück, bevor er sich endgültig in England niederließ.
Ab Beginn der 60er Jahre publizierte Lind Erzählungen, Romane und mehrere Autobiographien, teils in deutscher, teils in englischer Sprache. Aufsehen im deutschsprachigen Raum erregte er bereits mit seinem Erstlingswerk, dem Erzählband »Eine Seele aus Holz« (1962), in welchem die realistische Darstellung von Krieg und Shoah mit surrealen, grotesken Elementen verbunden wird.
Insgesamt war Jakov Lind im Zeitraum von 1962 bis 1983 viermal in der Literaturgesellschaft zu Gast. Heute vor 44 Jahren, am 8. April 1976, las er aus seinem bislang nicht veröffentlichten lyrischen Werk. Die Auseinandersetzung mit der jüdischen Identität und die Frage nach der Möglichkeit des gemeinsamen Weiterlebens von Opfer- und Tätergesellschaft werden in den vorgetragenen Gedichten und Balladen ebenso angesprochen wie das schwierige Verhältnis zur eigenen deutschen Muttersprache. So heißt es etwa in »Deutsche Worte«:
»Von drüben wo ich wohne gewogen
wirkt alles, was ich auf Deutsch schreibe
wie eine Kathedrale, wie ein Ritterschloss.
Etwas Barockfabelhaftes sind diese deutschen Worte.
Und hören sich wie teils heiter, teils wolkig an.
Alles klingt komisch von drüben gehört
wenn ich es mit deutschen Worten sage.
Aber deshalb nicht weniger ernst
sondern schwer und gewichtig.«