
Die Jurymitglieder des diesjährigen Preises, Gabriele Ecker (Abteilung Kunst und Kultur des Landes Niederösterreich), Dana Pfeiferová (Germanistin an der Universität Pilsen), Manfred Müller (ÖFKG), Peter Rosei (Schriftsteller und ehemaliger Preisträger des Österreichischen Franz Kafka-Preises) Daniela Strigl (Literaturkritikerin) und Norbert Christian Wolf (Germanist an der Universität Wien) zeigten sich über das Werk der Prager Autorin Radka Denemarková begeistert und hielten in ihrer Stellungnahme fest:
»Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt…« Diese Aufforderung Kafkas trifft für Denemarkovás»Stunden aus Blei« zu. Der philosophisch geprägte Essayroman (Konfuzius tritt in einen Dialog mit Havel) […] zeigt eine Gesellschaft, die sich nur über das Geld definiert, am Rande des Abgrunds. Das goldene Kalb heißt China und wird nicht nur vom damaligen tschechischen Staatspräsidenten Zeman, sondern auch von Proponenten des globalisierten Kapitals, deren Unmenschlichkeit an Karl Roßmanns Onkel aus »Amerika« denken lässt, angebetet. Denn in einer Diktatur, wo man auf der Farm der tschechisch-chinesischen Freundschaft die Bücher Havels verbrennt, zahlt frau – wie es das leider reale Schicksal der JUNGEN CHINESIN zeigt – für die Freiheit den höchsten Preis: das eigene Leben.
Jurybegründung
Radka Denemarkova wurde 1968 in Prag geboren. Nach der Promotion 1997 am Institut für Germanistik der Karlsuniversität in Prag arbeitete sie als Lektorin, Übersetzerin, Dramaturgin und wissenschaftliche Mitarbeiterin. Seit 2004 ist sie freischaffende Autorin. Den größten tschechischen Literaturpreis Magnesia Litera erhielt sie viermal: für Prosa (2007: »Ein herrlicher Flecken Erde«), Publizistik (2009: »Tod, du wirst dich nicht fürchten«), Übersetzung (2011: Herta Müller: »Atemschaukel«) und als Buch des Jahres (2019: »Stunden aus Blei«).
Unzählige Formen der Wahrnehmungen
Die Schriftstellerin zeigte sich von der bevorstehenden Auszeichnung sowohl geehrt als auch gerührt:
Was für eine große Freude, einen Preis zu erhalten, der den Namen Franz Kafka trägt! Ich stamme von Prag und Prag war einst eine Stadt dreier Nationalitäten, eine polemische Stadt, das war auch Thema von Franz Kafka. Sein Verhältnis zum Deutschtum formulierte er für sich als kulturelle Zugehörigkeit, schließlich war er innerhalb deutscher Kultur erzogen worden. Er nannte diese Verbindung ›Distanzliebe‹. Sein Leben lang beschäftigte er sich mit der Frage, mit der ich mich auch oft beschäftige, was er eigentlich sei. Österreicher? Auch viele Tschechen waren doch stolze Österreicher der Habsburger Monarchie. Tscheche? Nein. Deutscher aus Böhmen? Prager Deutscher? Eines war ihm und ist uns bis heute klar: die Literatur soll gegenüber jeder Erniedrigung der Menschenwürde stehen, sie kann zeigen und bestätigen, dass es unzählige Wahrnehmungsmöglichkeiten gibt, dass wir die Worte, mit denen wir denken, »abwaschen« und anders verwenden können, dass wir anders leben können, dass schöpferische Freiheit grenzenlos ist. Ja, »ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns«.
Radka Denemarková

Einreiseverbot in China
Für mein Leben ist die Literatur die Gesamtheit aller Formen der Tapferkeit, der Kunst, der Liebe, der Freundschaft und des Denkens, die dem Menschen erlauben, weniger Sklave zu sein. Und die Literatur so zu leben, ist die reinste Form der Liebe. Einen Roman zu schreiben ist wie den Mount Everest zu besteigen. Oder den Ärmelkanal zu durchschwimmen. Satz für Satz, Tag für Tag die Lampe hin und her zu tragen. Schreibend führen wir einen Dialog mit der Welt. Ich war zwei Jahre lang in China, wo ich den Roman »Stunden aus Blei« geschrieben habe, was zu einem lebenslangen Einreiseverbot führte und wo sich das Schlimmste des Kapitalismus und das Schlimmste des Kommunismus »geküsst« haben und wo die Wirtschaft beständig wächst – aber ohne Menschenrechte. China zeigt, dass Kapitalismus und Totalitarismus einander nicht ausschließen, sondern eine eigentümlich perfekte Symbiose eingehen können. Hier grenzenloses Wachstum, dort grenzenlose Überwachung – und die Freiheit gerät unter alle Räder. Ja, dazu passt, dass vielen Menschen heute das chinesische Modell imponiert: ein wirtschaftlich erfolgreicher Polizeistaat, der Wohlstand verspricht. Die Macht verrät heute unabsichtlich wieder ihre ureigenste Intention: das Leben total gleichförmig zu machen, alles nur ein wenig Unabhängige, Abweichende oder nicht Einzuordnende herauszuoperieren, zu entfernen. Aber man muss seinen eigenen Weg gehen. Die Wahrheit ist in dieser Zeit so sehr verdunkelt und die Lüge so weit verbreitet, dass man die Wahrheit nicht erkennen kann, wenn man sie nicht liebt. Deshalb kann ich den Literaturpreis Odradek – Buchpreis zum Österreichischen Franz Kafka Preis 2024 so schätzen. Der künstlerische Ruf nach moderner Freiheit endet nie, ist nämlich nichts Selbstverständliches. Dieser Literaturpreis gibt mir auch Antwort auf die Frage, warum der Mensch sich eigentlich bemüht, verantwortlich zu handeln.
Radka Denemarková
Die Laudatio auf Radka Denemarková wird die in Pilsen lehrende Germanistin Dana Pfeiferová halten. Die Preisverleihung findet in der Babenbergerhalle in Klosterneuburg am Freitag, 14. Juni, 18 Uhr 30 statt.
Eine Anmeldung ist noch per Mail oder Telefon möglich: info@franzkafka.at, 01 / 533 8159
Weiterführende Links:
https://radka-denemarkova.cz/en/
https://www.zcu.cz/en/Employees/person.html?personId=113407
https://www.franzkafka.at/home/
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Radka Denemarková in der ÖGfL 2018 © ÖGfL -
Radka Denemarková © ÖGfL -
Radka Denemarková © Foto Fischer Graz