Gestern Abend hatten wir Ilse Kilic, Benjamin Rizy und Eva Schörkhuber in der Literaturgesellschaft zu Gast, ein bewährtes Trio, das wir bereits in der Vergangenheit in dieser Konstellation auf unserer Bühne begrüßen durften. Wie schon bei früheren Veranstaltungen widmeten sie sich der Verknüpfung von Wissenschaft und Literatur, wobei diesmal binäre (Schrift-)Systeme im Fokus der Beiträge standen. Nach jeweils einem Einzelvortrag bzw. einer Lesung wurde der Abend durch eine gemeinsame Diskussion unter der Moderation von Nicole Kiefer abgerundet.
Den Auftakt bildete in bewährter Manier ein Vortrag von Benjamin Rizy, der als studierter Physiker die wissenschaftliche Perspektive in den Vordergrund stellte. Anschaulich legte er dar, wie in einem binären Zahlensystem gezählt wird und diskutierte dessen Vor- und Nachteile. Den Schwerpunkt seiner Präsentation bildete anschließend die Brailleschrift: Rizy erklärte den Aufbau und die verschiedenen Arten von Braille, sprach über die Verwendung von Braille im digitalen Zeitalter und die Hürden beim Erlernen des Zeichensystems. Danach warf er noch einen Blick auf Morse, das im Unterschied zur räumlichen Brailleschrift (Erhebung/keine Erhebung) ein zeitliches Binärsystem (Ton/kein Ton) darstellt, sowie auf sonstige binäre Zeichensysteme wie Klopfschrift oder Strichcodes. Als kleines Highlight durften wir ihm später dabei zusehen, wie er einen Eintrag in Brailleschrift in unserem Gästebuch hinterließ.
Als Nächstes stand die Lesung von Ilse Kilic auf dem Programm. Unter dem Titel »Das Zwischen im Zweifel« erzählte sie von binären Oppositionen in Gestalt der »wilden Bahnen der Entweder-Oder-Planeten«. Der Text verhandelt auf eindrückliche Weise den Themenkomplex rund um sich scheinbar ausschließende Gegensätze wie Nähe und Ferne, Gesundheit und Krankheit, richtig und falsch, Armut und Reichtum oder Glück und Unglück. Dabei schärft Kilic den Blick auf die Uneindeutigkeiten im (vermeintlich) Eindeutigen, allen voran in der binären Geschlechterordnung und der Genetik der Chromosomenpaare. Im erzählerischen Rahmen zweier Planeten, die sich umkreisen, deren Bahnen sich vielleicht kreuzen oder aber parallel verlaufen, gewinnt die Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Gewissheiten an großer Bedeutung, die eine Sicherheit vermitteln sollen, die in Wirklichkeit nicht existiert.
Den dritten Beitrag bildete der Essay von Eva Schörkhuber mit dem Titel »Eins und eins ist Zwei / fel«. Der Text stöbert im Archiv des Nautilus-Verlags auf den Spuren der Gruppe des »Sub-realismus« im Hamburg der 1970er und 80er Jahre und wirft dabei Fragen nach Individualismus innerhalb einer strengen bestehenden Ordnung, der Sinnhaftigkeit von Kalkulationen und der Suche nach Alternativen auf. Besonders sticht dabei Schörkhubers Gewandtheit im Spiel mit der Sprache und deren Doppeldeutigkeiten heraus, wodurch Raum für das Unberechenbare sowie für die Widersprüche in den scheinbar einfachsten Rechnungen geschaffen wird.
Moderation: Nicole Kiefer
Österreichische Gesellschaft für Literatur, 14. Oktober 2025
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Benjamin Rizy ©ÖGfL -
Ilse Kilic und Nicole Kiefer ©ÖGfL -
Eva Schörkhuber ©ÖGfL -
Benjamin Rizy, Ilse Kilic, Eva Schörkhuber und Nicole Kiefer ©ÖGfL -
Benjamin Rizy trägt sich mit Brailleschrift im Gästebuch ein ©ÖGfL -
»Alles Liebe und vielen Dank«, Benjamin Rizy ©ÖGfL -
Ilse Kilic, Benjamin Rizy, Eva Schörkhuber und Nicole Kiefer ©ÖGfL