Gestern Abend begrüßte Gastgeberin Daniela Strigl im Rahmen ihrer Reihe ›Tacheles‹ in der bis zum letzten Platz besetzten Literaturgesellschaft erstmals zwei Gäste: den österreichischen Germanisten Klaus Kastberger sowie den Schweizer Literaturwissenschaftler Moritz Baßler, über dessen vielrezipiertes Buch »Populärer Realismus. Vom International Style gegenwärtigen Erzählens« (C.H.Beck) in der Veranstaltung diskutiert wurde.
Wie schon in seinem 2021 erschienenen Aufsatz »Der neue Midcult. Vom Wandel populärer Leseschaften als Herausforderung der Kritik« beschäftigt Moritz Baßler sich in seinem Werk mit dominanten Erzählformen der Gegenwartsliteratur, wobei er einen international prägenden Stil ausmacht, welchen er als »populären Realismus« bezeichnet. Realismus meint dabei, wie Baßler erläuterte, »ein Schreibverfahren, bei welchem man die Zeichenebene nicht mehr bemerkt«, bei welchem im Gegensatz zu »schwierig« zu lesenden Texten oder etwa Lyrik, die für die Rezipient*innen eine Abarbeitung an der Textur des Textes bedeuten, ein automatischer Übergang zur dargestellten Welt erfolge.
Ausgehend von Umberto Eco, welcher über den Geschmack bzw. den schlechten Geschmack schrieb, entwickelt Baßler den Begriff des »Midcult«, womit er auf Lektüre verweist, die plotorientiert und leicht zu konsumieren sei, jedoch Tiefgründigkeit vorgebe und so beim Lesen das Gefühl suggeriere, gehobene Literatur zu konsumieren und sich auf diese Wiese zu bilden. Unter dem »neuen Midcult« wiederum, auf welchen er im zweiten Teil von »Populärer Realismus« eingeht, versteht der Literaturwissenschaftler Bücher, die – wie Daniela Strigl zusammenfasst – »weniger profitieren vom Gefühl eines Bildungsgewinns, sondern vom Gefühl, mit dem Lesen der Texte moralisch auf der richtigen Seite zu stehen«.
Im Gespräch diskutierten Daniela Strigl, Moritz Baßler und Klaus Kastberger – sowie gegen Ende der Veranstaltung auch Teile des Publikums – nicht nur über Baßlers Einordnung mancher Werke – etwa Maja Haderlaps Roman »Engel des Vergessens« – sowie Veränderungen und Kontinuitäten des Genres Unterhaltungsliteratur, sondern auch über die generellen Aufgaben der Germanistik und die Frage, ob diese sich neben der »Hochliteratur« aus kulturwissenschaftlicher Sicht auch mit u.a. Romanen von Sebastian Fitzek beschäftigen solle.
Moderation: Daniela Strigl
Österreichische Gesellschaft für Literatur, 12. Juni 2023