Seit 2018 steht die Präsentation eines neuen Bandes der ›Salzburger Ausgabe‹ von Stefan Zweig (1881-1942) am Beginn des jährlichen Veranstaltungsprogramms der ÖGfL, so auch im Jahr 2024. Den unabgeschlossenen Roman »Rausch der Verwandlung« (Zsolnay), der den sechsten Band darstellt, präsentierten gestern Abend dessen Herausgeber, der Leiter des ›Stefan Zweig Zentrums Salzburg‹ Arturo Larcati und der Germanist Herwig Gottwald, sowie der Mitherausgeber der ›Salzburger Ausgabe‹ Klemens Renoldner und der Mitarbeiter des ›Stefan Zweig Zentrums Salzburg‹ Peter Bruckner.
Im Roman »Rausch der Verwandlung« geht es um das junge Postfräulein Christine, das im Jahr 1926 in ärmlichen Verhältnissen in der österreichischen Provinz lebt. Christine wird von ihrer reichen Tante Claire (eigentlich Klara) in ein Luxushotel in der Schweiz eingeladen und bekommt dort ein Makeover, sodass sie wie eine Dame der Oberschicht aussieht, und sie bekommt den Urlaub dort von Tante und Onkel spendiert. Die feinen und reichen Hotelgäste halten sie zunächst für eine von ihnen, doch als dann die Wahrheit um Christine ans Licht kommt, wird sie als Hochstaplerin angesehen, da sie nicht gleich mit den Fakten herausgerückt war, und vergraulen sie aus dem Hotel. So folgen auf das berauschende Luxusleben im ersten Teil die Ernüchterung und das prekäre Leben in Armut im zweiten Teil. Christine kommt mit dem Kriegsheimkehrer Ferdinand zusammen, der ebenfalls bitterarm ist und für ihre gemeinsame missliche Lage fragwürdige Lösungen vorschlägt. Wird Christine einen Rat von ihm annehmen und einen Diebstahl oder Selbstmord begehen?
Klemens Renoldner führte in die Edition mit der Erklärung ein, dass ihr Inhalt das erzählerische Werk Zweigs sei, wobei sie verschiedene Fassungen berücksichtige. Herwig Gottwald fasste den Inhalt des Romans kurz zusammen und las eine Schlüsselszene daraus vor. Anschließend meinte er, dass Edition und Stellenkommentar bei der Lektüre des ungefähr 100 Jahre alten Romans hilfreich seien und griff damit einem möglichen Publikumsvorurteil vor, dass diese Inhalte die Lektüre verkomplizieren und demnach erschweren könnten. Generell sei die Lektüre dieses Romans nicht allzu schwierig, sodass er sich auch eigne, um noch unvollkommene Lesefertigkeiten zu perfektionieren.
Peter Bruckner wies auf eine mehrseitige Variante im zweiten Teil des Romans hin und erzählte wie diese dank Stefan Zweigs Randnotizen als eine jüngere Textstufe eingeordnet werden konnte. Gottwald sprach daraufhin über Zweig als Romanautor, der an seinem großen Romanprojekt immer wieder scheitert. Dazu zitierte er auch aus einem Brief von Stefan Zweig. Anschließend klassifizierte Larcati: »›Rausch der Verwandlung‹ ist in erster Linie ein Gesellschafts- beziehungsweise ein Sozialroman, in dem das Thema Armut eine große Rolle spielt.« Dabei konzentriere sich Zweig auf die psychologischen Auswirkungen von Armut. Gottwald ordnete den Roman auch als Hotelroman/Hotelerzählung ein. Das Hotel sei dabei ein Spiegel der Gesellschaft. Zu Zweigs Zeit wurden viele Hotelromane verfasst, auch von vielen heute noch bekannten Autoren.
Während der Veranstaltung wurden mehrere Stellen aus dem Buch vorgelesen und es wurden einige Bilder, auf denen Zweig, seine Häuser, seine Manuskripte und seine Notizen zu sehen waren, projiziert. Am Schluss wurden zwei Filmszenen vorgeführt. Die erste Szene stammte aus dem Film »Das gestohlene Jahr«, in dessen Drehbuch Zweig Handlungsstränge aus »Rausch der Verwandlung« wiederverwertet hatte. Der Film ist allerdings trotzdem ein eigenständiges Werk und es wurde auch erläutert, was in diesem Film anders ist. Im zweiten Clip war der Beginn einer Verfilmung von »Rausch der Verwandlung« vom ZDF zu sehen.
Begrüßung: Manfred Müller
Österreichische Gesellschaft für Literatur, 17. Jänner 2024