José Aníbal Campos, geboren in Havanna/Kuba, erhielt im Oktober 2020 ein Übersetzungsstipendium der Literaturgesellschaft. Er ist freier Übersetzer (u.a. von Maja Haderlap, Gregor von Rezzori und Stefan Zweig) und arbeitete einige Jahre als Dozent für Übersetzung an der Universidad de la Habana. Seine Essays und Artikel über deutschsprachige und kubanische Literatur und Kultur sowie über kubanische politische Themen wurden in zahlreichen Zeitschriften veröffentlicht.
Wir stellten auch diesem Übersetzer einige Fragen:
Wann waren Sie zum ersten Mal in Wien und was war der Grund für Ihren Aufenthalt?
Es war Mai 1997. Ich lebte damals noch auf Kuba (meinem inzwischen vergessenen Geburtsland), hatte ein Stipendium in der Villa Waldberta (bei München) und kam auf Einladung von Milo Dor und der Literarmechana zwei Wochen nach Wien. Ich übersetzte zu diesem Zeitpunkt seinen Roman »Tote auf Urlaub« und nützte die Zeit, um mit Herrn Dor über manche Passagen des Werkes zu sprechen.
Wie oft waren Sie auf Einladung der ÖGfL in Wien?
Genau weiß ich es inzwischen selbst nicht mehr. Etwa 5-7 Mal. Und ich berücksichtige hier nicht nur die Aufenthalte an sich, sondern auch die mehrfache Unterstützung der ÖGfL im Laufe vieler Jahrzehnte, seit 1999 (mein erster offizieller Aufenthalt in der Professorenwohnung in der Pfeilgasse 3) bis zur Gegenwart.
Welchen Eindruck hatten Sie von Wien und den WienerInnen?
Mein Eindruck hat sich im Laufe der Jahre sehr verändert.
1997 war mein Wien-Bild stark von den Eindrücken einer vorher verbrachten Woche in Berlin beeinflusst. Damals schien mir die Stadt eher ›provinziell‹ im Vergleich zu den Erfahrungen in Berlin. Aber im Laufe der Jahre habe ich mich allmählich in der österreichischen Literatur spezialisiert, die Wiener Moderne kam bald anstelle der ersten Faszination für den ›Sissi-Kram‹ und die Zeit der Habsburger Monarchie. Das Wien der 20er Jahre ist weiter intensivster Gegenstand meiner aktuellen Recherchen. Und Anfang des Jahres 2015 habe ich eine in Wien seit über 30 Jahren ansässige Kärntnerin kennengelernt, mit der ich bis vor Kurzem zusammenlebte. Da habe ich die Stadt anders erlebt. Da entstehen Freundschaften und Bekanntschaften außerhalb des Literaturbetriebs. Da ändert sich auch jeder Rest von Verklärung und man beginnt die Stadt richtig zu erleben. Zusammenfassend: ich fühle mich sehr gut in dieser Stadt, ich schätze die Lebensart sehr, auch den Wiener Schmäh, die vernünftige Art und wie man viele Errungenschaften der Sozialdemokratie der 20er Jahren mehr oder weniger beibehalten hat.
Was waren Ihre letzten großen Projekte?
Mein wichtigstes Projekt im letzten Jahr war die Übersetzung von Maja Haderlaps Roman »Engel des Vergessens«.
Ich recherchiere aber auch intensiv über die Monate, die Paul Celan in Wien verbracht hat. Besonders dieses Thema reizt mich sehr, denn es wurde bisher kaum von den Celan-Studien berücksichtigt. Und wie sich nun herausgestellt hat, war noch vieles zu entdecken: u.a., dass die allererste Rezeption von Celans Gedichten in Wien in der Besprechung einer Wiener Zeitschrift dokumentiert ist, die im April 1948 eine Auswahl von 17 Gedichten Celans, die in der Zeitschrift PLAN erschienen sind, eher sarkastisch kritisierte. Auch der Umstand, dass das wahrscheinlich erste von Gedichten Celans inspirierte Musikstück in Graz komponiert und im April 1949 uraufgeführt wurde. Dass Paul Celan an der s. g. ›Ersten Surrealistischen Ausstellung‹ (Wien, März 1948) nicht nur als Dichter, sondern mit einem eigenen Kunstwerk teilgenommen hat.
Woran arbeiten Sie gerade?
Ich beschäftige mich momentan mit einem langfristigen Projekt: eine Anthologie tagesaktueller und politischer Schriften Robert Musils zusammenzustellen und zu übersetzen. Dafür profitiere ich von dem Kontakt mit Dr. Klaus Amann (Klagenfurt), der sich in den politischen Schriften Musils spezialisiert hat.
Welche Autorin / welcher Autor hat in letzter Zeit den größten Eindruck bei Ihnen hinterlassen?
Maja Haderlap gehört zweifelsohne zu diesen Autorinnen! Durch ihren Roman habe ich für mich ein mir bis dahin eher vages bekanntes Stück österreichischer Geschichte entdeckt. Ich bin aber auch von dem Werk Maria Lazars fasziniert! Momentan arbeite ich in Zusammenarbeit mit Herrn Albert C. Eibl und seinem Verlag ›Das vergessene Buch‹ an einer wirksamen Strategie dafür, Maria Lazar endgültig in das spanischsprachige Verständnis der österreichischen Literatur zu integrieren.
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Eine Auswahl seiner Übersetzungen:
Besonders hervorzuheben ist hierbei die Ausgabe der Zeitschrift Union mit dem Titel »Líteratura austríaca contemporánea. Textos inéditos en español« (1998). José Aníbal Campos stellte gemeinsam mit KollegInnen eine Anthologie österreichischer AutorInnen zusammen, in der zahlreiche Namen der österreichischen Literatur zum ersten Mal ins Spanische übersetzt wurden. Zu nennen sind u.a. Alfred Kolleritsch, Wolfgang Hermann, Marianne Gruber und Julian Schutting.