Manès Sperber: »Macht und Ohnmacht der Intellektuellen: Geschick und Missgeschick der Intellektuellen in der Politik. Ideologie und die Kunst des Möglichen.« (einleitende Worte von Wolfgang Kraus)
Österreichische Gesellschaft für Literatur, 23.1.1967
Manès Sperber (1905 – 1984), geboren in Zablotów, im damaligen Galizien, Teil der Habsburger Monarchie und heute Ukraine, war ein österreichisch-französischer Schriftsteller, Sozialpsychologe, Publizist und Philosoph. Er lebte ab 1916 in Wien, wurde zum Schüler und Mitarbeiter des Individualpsychologen Alfred Adler und zog in der Zwischenkriegszeit nach Berlin, wo er für die Kommunistische Partei tätig war. In deren Auftrag ging er nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten nach Paris, distanzierte sich aber Ende der 30er Jahre vom Kommunismus und wurde in weiterer Folge zu einem prominenten Renegaten. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte er als französischer Soldat gegen das nationalsozialistische Deutschland; nach der Niederlage Frankreichs gelang es ihm, in die Schweiz zu flüchten. Nach 1945 kehrte er nach Paris zurück, wo er sein restliches Leben verbrachte.
Manès Sperbers umfangreiches, vielfach übersetztes und ausgezeichnetes Werk umfasst neben mehreren Romanen zahlreiche essayistisch gehaltene Schriften zu Politik, Geschichte, Soziologie, Religion, Philosophie, Literatur, Psychologie und Pädagogik, wobei die Auseinandersetzung mit totalitären Systemen als sein Hauptanliegen bezeichnet werden kann.
Neben dem bedeutenden Essay »Zur Analyse der Tyrannis« (Science et Litterature, 1939) und der dreibändigen Autobiographie »All das Vergangene« (Europaverlag, 1974 – 1977) muss die Trilogie »Wie eine Träne Ozean« (Kiepenheuer & Witsch, 1961) hervorgehoben werden, die aus den drei schon zuvor selbstständig publizierten Romanen »Der verbrannte Dornbusch« (Internationaler Universum Verlag, 1949), »Tiefer als der Abgrund« (Europa Verlag, 1950) sowie »Die verlorene Bucht« (Kiepenheuer & Witsch,1955) besteht und als sein Hauptwerk gilt. Die stark autobiographisch geprägte Romantrilogie, in welcher der Protagonist sowohl seine Heimat als auch seine ideologische Beheimatung verliert, wird häufig als politischer Schlüsseltext, als »Roman-Saga der Komintern« (Wynfried Kriegleder) gelesen. In ihr setzte der Schriftsteller sich mit der Problematik auseinander, wie es möglich sei, den Zwängen einer totalitären Ideologie zu entkommen und auf welche Weise es dem Individuum im Angesicht der Katastrophen des 20. Jahrhunderts gelingen könne, sich moralisch richtig zu verhalten. Dabei bleibt die Hoffnung als Prinzip trotz allem immer bestehen, denn, wie es am Ende der Trilogie heißt: »Wir sind verloren, aber die Sache selbst ist unverlierbar. Wir waren Nachfolger, wir werden Nachfolger haben.«
Manès Sperber war zwischen 1962 und 1981 zwölfmal bei Veranstaltungen der Gesellschaft für Literatur zu Gast. Am 23. Jänner 1967 hielt er den Vortrag »Macht und Ohnmacht der Intellektuellen: Geschick und Missgeschick der Intellektuellen in der Politik«, der an den zwei Jahre zuvor ebenfalls im Palais Palffy gehaltenen Vortrag »Karl Kraus oder das Unglück, ein Moralist zu sein« anschloss und diesen thematisch erweiterte.