Thomas Bernhard liest aus seinem soeben im Insel Verlag erschienenen Roman »Verstörung«.
Eine Veranstaltung der Österreichischen Gesellschaft für Literatur, 14. März 1967
»Verstörung« ist Bernhards zweiter Roman nach dem 1963 erschienenen »Frost«, der seinen literarischen Durchbruch bedeutet hatte. In den Jahren seit dessen Erscheinen war u.a. die Erzählung »Amras« erschienen, vor allem aber hatte Bernhard an einem nie beendeten umfangreichen literarischen Projekt gearbeitet, das thematisch den Niedergang der österreichischen Kulturtradition, aber auch die Beziehung eines Sohnes zu seinem verstorbenen Vater, einem adeligen Burgbesitzer, und die Liquidierung von dessen Besitzungen zum Inhalt gehabt haben dürfte.
Aus diesen Themenkomplexen erwuchsen im Lauf der Zeit mehrere Bücher Bernhards bis hin zum großen Roman »Auslöschung«, der viel später, 1986, erschien. Zunächst waren sie aber auch Quellgrund eines Buchs, das Bernhard im Spätherbst 1966 in Brüssel fertigstellte: »Verstörung«.
Als der Roman im März 1967 im Insel-Verlag veröffentlicht wurde, hatte Bernhard gerade den Kaufvertrag für den Vierkanthof in Ohlsdorf unterzeichnet. Am 14. März fand die Buchpräsentation in der Literaturgesellschaft statt, von der unsere heutige Aufnahme stammt. Die leider nicht erhaltene Einleitung besorgte Gerhard Fritsch, zu diesem Zeitpunkt Freund und Unterstützer des sieben Jahre jüngeren Bernhard.
Nur drei Monate später musste Bernhard ins Pulmologische Krankenhaus auf der Wiener Baumgartner Höhe eingewiesen werden: Ein (wie sich später herausstellte, gutartiger) Tumor war diagnostiziert worden. Er verbrachte den ganzen Sommer im Krankenhaus, und im Zuge dieses Aufenthalts wurde eine Autoimmunerkrankung diagnostiziert: Sarkoidose (Morbus Boeck).
An dieser Krankheit würde Bernhard sein restliches Leben lang leiden und schließlich im Februar 1989 auch sterben.
Die Aufnahme der »Verstörung« fiel unterschiedlich aus: Peter Handke verfasste eine lange, positive Rezension, in der er ausführlich auf die Monologe des Fürsten Saurau einging. Marcel Reich-Ranicki traf eine folgenreiche Zuschreibung, indem er Bernhard als eine neue Art eines »österreichischen Heimatdichters« bezeichnete.
Bernhards Autorenkollege Herbert Eisenreich hingegen vernichtete den Roman im ›Spiegel‹ geradezu und schloss mit der Bemerkung, in der »dezidiert urbanen« österreichischen Literatur sei »wieder einmal der Urwald ausgebrochen«.
Bernhards Replik ist berühmt geworden: In einem Ende Mai 1967, nur wenige Tage vor dem Beginn seines Spitalsaufenthalts, verfassten Leserbrief schrieb er an die Redaktion des Hamburger Magazins: »Mein nächstes Buch lassen Sie bitte gleich von einem natürlich auch in Oberösterreich geborenen oder ansässigen Schimpansen oder Maulaffen besprechen.«
Thomas Bernhard war in den 1960er und 1970er Jahren ein häufiger Gast der Literaturgesellschaft, schon »Frost« war hier im Mai 1963 zum allerersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert worden. Von da an trat er noch weitere acht Mal bei uns auf, zuletzt im April 1978.