Peter Handke liest eigene Gedichte sowie aus dem Prosatext »Begrüßung des Aufsichtsrats« (Residenz)
Österreichische Gesellschaft für Literatur, 27.2. und 31.10.1967
Der Versuch, den letztjährigen Literaturnobelpreisträger Peter Handke (geb. 1942) und sein Werk in Gänze vorzustellen sowie auf die hitzige Debatte einzugehen, die seit dem Herbst 2019 um ihn und die Berechtigung dieser Auszeichnung geführt wird, würde nicht nur den Rahmen dieses Beitrags sprengen, sondern müsste, da das Vorhaben dem Anspruch nicht gerecht werden könnte, zwangsläufig misslingen.
Betrachten wir also nur den jungen Handke und springen direkt in das Jahr 1967, in die Anfangszeit seiner Karriere. Peter Handke war zu diesem Zeitpunkt 25 Jahre alt, hatte sich in Graz dem Forum Stadtpark angeschlossen und im Vorjahr mit dem experimentellen Roman »Die Hornissen« (Suhrkamp) auf sich aufmerksam gemacht. Darüber hinaus hatte er mit seinem Auftritt beim Treffen der Gruppe 47 in Princeton durch den Vorwurf einer an die etablierten LiteratInnen adressierten „Beschreibungsimpotenz“ für Furore gesorgt sowie mit seinem provokativen Theaterstück »Publikumsbeschimpfung« (Suhrkamp) schockiert, welches die Konventionen des traditionellen Theaters in Frage stellt. Handke, der 1967 neben dem Prosaband »Begrüßung des Aufsichtsrats« (Residenz) noch den dekonstruktiven Anti-Detektivroman »Der Hausierer« (Suhrkamp) veröffentlichte, hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon einen Ruf als Popstar, als „Beatle der Literatur“ (Wynfried Kriegleder) und „enfant terrible“ aufgebaut. Dementsprechend schreckte er nicht davor zurück, bei der Preisverleihung seiner ersten Auszeichnung, des Gerhart-Hauptmann-Preises 1967, für eine Welle der Empörung zu sorgen, als er sich in seiner Ansprache wegen des Freispruchs für jenen Polizisten echauffierte, der für den Tod des Studenten Benno Ohnesorg, des bekanntesten Opfers der beginnenden Studentenrevolte, verantwortlich gewesen war.
In eben diesem Jahr 1967 war Peter Handke, der 1972 erneut in der Gesellschaft für Literatur auftreten sollte, zweimal im Palais Palffy zu Gast; von beiden Lesungen existieren jeweils kurze, etwa sechsminütige Mitschnitte, die wir Ihnen nicht vorenthalten möchten.
Am 27. Februar las der Schriftsteller neben anderen Texten, deren Vortrag leider nicht aufgezeichnet wurde, seine, wie er selbst zu Beginn angibt, „ersten“ Gedichte: »Was ich nicht bin und was ich bin«, »Gottesbeweis« und »Die unbenutzten Todesursachen«. Während der Autor Teile des Gedichts »Gottesbeweis« später in sein Theaterstück »Kaspar« (Suhrkamp, 1968) übernahm, erschien »Die unbenutzten Todesursachen« in der von Wolfgang Weyrauch herausgegebenen Anthologie »Lyrik aus dieser Zeit: 1967/68. Vierte Folge« (Bechtle, 1967) sowie zwei Jahre später in Handkes Prosa- und Lyrikband »Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt« (Suhrkamp, 1969), einem seiner kommerziell erfolgreichsten Bücher. Ebenfalls in diesem Band publiziert wurde das Gedicht »Was ich nicht bin und was ich bin«, allerdings in veränderter Form und unter dem Titel »Was ich nicht bin, nicht habe, nicht will, nicht möchte – und was ich möchte, was ich habe und was ich bin«.
Am 31. Oktober stellte Handke seinen Prosaband »Begrüßung des Aufsichtsrats« vor; der vorhandene Mitschnitt der Lesung umfasst etwa die erste Hälfte des titelspendenden Prosastücks. Andere Teile des Vortrags, bzw. der Auftritt von Andreas Okopenko, der an diesem Abend aus seinem Werk »Die Belege des Michael Cetus« las, sind leider nicht erhalten. Da Letzterer jedoch schon 1966 aus dem zu diesem Zeitpunkt noch unveröffentlichten Kurzroman vorgetragen hatte, sei an dieser Stelle auf die LESUNGEN FÜR ZUHAUSE #1 verwiesen.