Eduard Goldstücker: »Schriftsteller und Gesellschaft. Gestern, heute, morgen«
ÖGfL-Veranstaltung im Auditorium Maximum der Universität Wien, 18. Juni 1968
Eduard Goldstücker (1913-2000) war Diplomat, Publizist und einer der einflussreichsten Literaturwissenschaftler des 20. Jahrhunderts.
Der DDR-Funktionär Alfred Kurella hatte 1963 als Erster vor Franz Kafka gewarnt: die bei Kafka häufig verhandelte ›Entfremdung‹ sei in sozialistischen Gesellschaften nicht von Interesse, da Formen der Entfremdung durch Arbeit im Marxismus bereits überwunden seien. Damit stellte er sich gegen die Ergebnisse der am 27. und 28. Mai 1963 in Liblice (ČSSR) stattgefundenen ›Kafka-Konferenz‹.
Die Konferenz auf dem Schloss Liblice schlug die ersten Funken, die zum ›Prager Frühling‹ führen sollten. Hier hatten GermanistInnen aus Ost- und Westeuropa über das Werk Kafkas und marxistische Interpretationsmöglichkeiten seiner Texte diskutiert. Unter den Teilnehmern – wie etwa Ernst Fischer und Roger Garaudy – war es vor allem ein Mann, der sich für die Neuentdeckung Franz Kafkas’ einsetzte und die Veranstaltung initiiert hatte: Eduard Goldstücker.
Als Jizchak Jakub Schalom be Jozef in der heutigen Slowakei geboren, in Košice aufgewachsen, ging er 1931 zum Studium nach Prag. Nach dem Einmarsch von Hitlers Truppen 1939 in die Tschechoslowakei floh Goldstücker mit seiner Frau Marta über Polen nach England. Dort promovierte er, weiterhin überzeugter Marxist, über ›Scherz, Satire und Ironie als künstlerisches Mittel des Jungen Deutschland‹ und trat nach dem Krieg in den diplomatischen Dienst der Tschechoslowakei ein.
Er war 1944 Kulturattaché an der Botschaft in Paris, bis 1951 Botschafter in Israel und Ende desselben Jahres im Prager Gefängnis – die Todesstrafe drohte. Nach 18 Monaten Isolationshaft wegen angeblicher Spionage, Hochverrats und staatsfeindlicher Verschwörung wurde er zu lebenslanger Haft und Zwangsarbeit in den Uranminen von Jachymov (CZE) verurteilt.
In seiner 1989 erschienen Autobiographie »Prozesse. Erfahrungen eines Mitteleuropäers« erinnert sich Goldstücker an jene Zeit:
»Stellen Sie sich einen Menschen vor, der angeklagt wird wegen Verbrechen, die das Todesurteil vorgeschrieben haben im Gesetz, ohne je etwas Derartiges getan zu haben. Ohne einen illoyalen Gedanken je gehabt zu haben. […] Sie werden so lange bearbeitet, dass sie entweder daran zugrunde gehen oder sich beugen dem, was man ihnen aufzwingt.«
1955 wurde er freigelassen, rehabilitiert und 1966 gar Prorektor der Prager Karls-Universität. Nachdem 1968 sowjetische Panzer nach Prag rollten und die Reformproteste gewaltsam niedergeschlagen wurden, floh Goldstücker erneut nach England. Erst die ›Samtene Revolution‹ machte es ihm möglich, nach Prag zurückzukehren.
Sowohl in seiner Forschung als auch in seinen Texten und Vorträgen beschäftigte er sich hauptsächlich mit Kafka. In der Literaturgesellschaft trat er zwischen 1964 und 1993 elfmal auf. Am 18. Juni 1968 hielt er im Auditorium Maximum der Universität Wien seinen Vortrag »Schriftsteller und Gesellschaft. Gestern, heute, morgen«.