»Meine Damen und Herren, […] ich brauche Herrn Weigel nicht vorzustellen, ich möchte nur sagen, dass er einer der ersten und liebsten Freunde, [einer] der aktivsten Freunde der Literaturgesellschaft gewesen […] und geblieben ist.«
(Wolfgang Kraus über Hans Weigel, Einleitung zu dessen Vortrag am 23. Mai 1984)
Mit diesen einleitenden Worten hieß der ÖGfL-Leiter Wolfgang Kraus den Kritiker, Romancier und Literaturmanager Hans Weigel (1908-1991) auf der Bühne willkommen, als dieser im Rahmen des Symposions »Wien – Wandlungen einer Stadt im Bild der Literatur« 1984 den Vortrag »Das Kabarett von 1918 bis 1960« hielt. Heute, am 12. August 2022, ist sein 31. Todestag.
1908 in Wien geboren, maturierte Weigel am Akademischen Gymnasium, bevor er nach einem begonnenen Jusstudium in Hamburg bei der Berliner Zeitschrift ›Die literarische Welt‹ anheuerte. Ab 1928 lebte er wieder in seiner Geburtsstadt, wo er als Verlagslektor bei Zsolnay, Kritiker, Radio-Moderator, Autor für Kleinkunstbühnen und freier Schriftsteller arbeitete. Nach dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland 1938 flüchtete er in die Schweiz. Hier entstand u.a. der Roman »Der grüne Stern« (1943) sowie der gemeinsam mit Fritz Hochwälder verfasste Schwank »Der Astrolog von Niederdorf« (1942), der in Zürich aufgeführt wurde. Im Gegensatz zu seinem Freund Hochwälder, der nach Ende des Krieges in der Schweiz blieb, kehrte Weigel schon im Juli 1945 nach Wien zurück. Weigel, der »für eine rasche Versöhnung der Exilierten mit den Daheimgebliebenen« (Bolbecher, Siglinde; Kaiser Konstantin: Lexikon der österreichischen Exilliteratur. Wien, München: Deuticke 2000, S.673) plädierte, konnte sich rasch ins Wiener Geistesleben integrieren und schuf hier in den nächsten Jahrzehnten als Theaterkritiker, Molière-Übersetzer sowie als freier Schriftsteller ein umfangreiches literarisch-feuilletonistisches Œuvre.
Nicht nur verschaffte Weigel sich im Literaturbetrieb der Nachkriegszeit Anerkennung als witziger, in der Tradition von Karl Kraus stehender Sprachkritiker, auch wurde er zu einem der wichtigsten Literaturvermittler und -förderer Österreichs. Sein »literarisches Domizil« (Greinert, Wolff A: Hans Weigel. »Ich war einmal…«. Graz: Styria 2015, S.190) hatte der Kaffeehausliebhaber Weigel im Café Raimund, einem Kaffeehaus nahe seiner Wohnung gegenüber dem Wiener Volkstheater, gewählt. Der Begriff »Domizil« kann hierbei wörtlich genommen werden, denn an Weigel adressierte Post ohne nähere Adressangabe wurde im Café Raimund zugestellt.
»Hier „ordinierte“ er, diagnostizierte und behandelte Manuskripte, hieß sie gut oder verordnete eine stilistische Therapie in Form einer Überarbeitung. Denn viele junge, unbekannte Autorinnen und Autoren, von denen die allermeisten noch keine ihrer geschriebenen Zeilen gedruckt gesehen hatten, schickten ihm Manuskripte und Gedichtzusammenstellungen. Sie erwarteten hoffnungsvoll Zuspruch, Anerkennung, Aufforderungen zum Weiterschreiben, da es sich bald herumgesprochen hatte, dass es da einen Verlässlichen gab, der sich ihrer und ihrer Schriften annahm, sie zumindest las und ihnen zu- oder auch abriet. Und alle erhielten Antwort.«
(ebd.)
Weigel, von Gerd Bacher als »Pate der österreichischen Nachkriegsliteratur« (Gerd Bacher im Interview mit Christoph Hirschmann, Österreich, 24.5.2008) bezeichnet, entdeckte viele junge Autor*innen, etwa Ilse Aichinger, Gerhard Fritsch, Reinhard Federmann, Marlen Haushofer, Christine Busta, Herbert Eisenreich, Milo Dor, Friederike Mayröcker, H.C. Artmann, Thomas Bernhard oder Jeannie Ebner. Die meisten von ihnen gehörten zu dem legendären literarischen Kreis um Weigel, der sich ab Ende 1947/Anfang 1948 regelmäßig im Café Raimund traf.
Weigel, der in den 50er Jahren gemeinsam mit Reinhard Federmann und Milo Dor die Anthologien-Reihe »Stimmen der Gegenwart« herausgab, war ab den 60er Jahren durch sein Anliegen der Literaturförderung auch mit der Literaturgesellschaft eng verbunden. Denn der ›Tag der Lyrik‹, der 1968 ins Leben gerufen und mit dem 5. März – ein Datum, an dem »kein einziger Klassiker geboren oder gestorben ist« (Kraus, Wolfgang: Tag der Lyrik. In: National-Zeitung Basel, 27.12.1968) – festgesetzt wurde, war ein Herzensprojekt Weigels. Bis zu seinem Tod im Jahr 1991 wählte er die einzuladenden Autor*innen aus, wobei sein Fokus in vielen Jahren nicht nur auf unbekannten Schriftsteller*innen lag, die das erste Mal in der Literaturgesellschaft lasen, sondern auch auf Frauen, die ansonsten über Jahrzehnte in den Programmen der Literaturgesellschaft unterrepräsentiert waren.
Auch außerhalb des ›Tages der Lyrik‹, bei dem Weigel immer auch einleitete, trat er unzählige Male – als Moderator, Vortragender bei Symposien oder lesend aus eigenen Werken – in der Literaturgesellschaft auf, das erste Mal am 11. Oktober 1962 bei einer Podiumsdiskussion zum Thema »Die Situation der Literatur in Österreich«. Dass Weigel insgesamt eine Art guter Hausfreund der ÖGfL war, wird etwa dadurch deutlich, dass man ihm zu Ehren an seinem 60. Geburtstag ein großes Fest im Palais Pálffy ausrichtete, bei dem nicht nur der damalige Bundeskanzler Josef Klaus, sondern auch sein Nachfolger Bruno Kreisky erschien. Nicht nur wurde er bei dieser Gelegenheit, wie aus einem Dankesbrief Weigels hervorgeht, zum »Konsulent[en] der Literaturgesellschaft« (Hans Weigel an die Literaturgesellschaft, Brief vom 30. Mai 1968, ÖGfL-Archiv) ernannt, auch bekam er einen Schlüssel zu den Räumlichkeiten der Literaturgesellschaft geschenkt.
Mehr als zwanzig Jahre später wurde Hans Weigel eine andere Ehrung durch die Literaturgesellschaft zuteil. 1993, zwei Jahre nach seinem Tod, stiftete man eine Gedenktafel für den Hausfreund, welche am Haus Museumstraße 6, dem Café Raimund, errichtet wurde.
Anlässlich des ›Tages der Lyrik 1993‹ wurde die Tafel am 3. März 1993 vormittags im Rahmen einer kleinen Feier enthüllt, an der neben Weigels langjähriger Lebensgefährtin Elfriede Ott auch einige von Weigel geförderte Literat*innen teilnahmen, etwa Friederike Mayröcker, Ernst Jandl, Ilse Aichinger, Milo Dor und Jeannie Ebner. Abends am selben Tag las Hans Egon Holthusen, den man zum ›Tag der Lyrik‹ eingeladen hatte, in den Räumlichkeiten der Literaturgesellschaft eigene Lyrik.