»Eine der ersten Taten der Literaturgesellschaft« war, so der ÖGfL-Leiter Wolfgang Kraus in einem Brief an den Germanisten Heribert Illig im Jahr 1987, eine Gedenktafel an dem Haus anzubringen, wo Egon Friedell »sich so tragisch in den Tod gestürzt hat« (Wolfgang Kraus an Heribert Illig, Brief vom 18. August 1987, ÖGfL-Archiv). Illig, der über Friedell promoviert hatte und in den 80er Jahren seine Werke ediert und kommentiert herausgab (bevor er 1991 mit der wissenschaftlich nicht haltbaren These vom ‚Erfundenen Mittelalter‘ Aufsehen erregte), sprach am 25. Februar 1988 zum 50. Todestag in der Literaturgesellschaft über den – so der Titel des Vortrags – »Dichter, Denker und Lebenskünstler«. Journalist, Schriftsteller, Dramatiker, Theaterkritiker, Kulturphilosoph, Schauspieler, Kabarettist, könnte man u.a. noch ergänzen.
Friedell, 1878 als Egon Friedmann in eine Wiener gutbürgerlich-jüdische Familie geboren, war nach der Scheidung der Eltern und dem Tod des Vaters bei einer Tante in Deutschland aufgewachsen und galt als schwieriges Kind. Nicht nur musste er wegen seines ungebührlichen Verhaltens mehrmals die Schule wechseln, auch wurde er, wie er selbst angab, »zweimal in Österreich und zweimal in Preußen maturiert, beim viertenmal glänzend bestanden.« (Egon Friedell zu seinem 60. Geburtstag. In: Neues Wiener Journal, 14. Jänner 1938)
Durch das Erbe seines Vaters, das er 1899 erhalten hatte, konnte er finanziell unabhängig in Wien seinen Interessen nachgehen. Er gehörte zum Literatenkreis im Café Central und promovierte 1904 in Philosophie, wodurch er, so die Selbstbeschreibung Friedells, »die nötige Vorbildung zur artistischen Leitung des Kabaretts ‚Fledermaus’ erlangte.« (ebd.) Diesem Karriereschritt vorausgegangen war seine schriftstellerische Tätigkeit, neben Essays und Artikeln für Zeitschriften verfasste er ab 1908 gemeinsam mit Alfred Polgar Parodien, die ihn über Österreich hinaus bekannt machten. Zudem gründete er 1910 das ›Intime Theater‹ in der Praterstraße und schrieb mit »Ecce poeta« (1912) eine Biografie über Peter Altenberg, die, die Grenzen des Genres sprengend, »eine Art Naturgeschichte des Menschen nach 1900« zum Gegenstand hatte, »freilich«, wie es im Vorwort heißt, »nur im Abriß und in der Form flüchtiger und provisorischer Brouillons.« (Egon Friedell, Ecce poeta, Diogenes 1992, S.13)
Nach dem Ersten Weltkrieg, den Friedell wie viele befürwortet hatte, arbeitete er etwa als Dramaturg, Regisseur und Schauspieler am ›Deutschen Theater‹ in Berlin sowie am ›Theater in der Josefstadt‹; ab 1927 zog er sich aus gesundheitlichen Problemen von der Bühne zurück und widmete sich als freier Schriftsteller und Essayist seinen kulturgeschichtlichen Interessen. Sein Hauptwerk, die »Kulturgeschichte der Neuzeit«, wurde von 1927 bis 1931 in drei Bänden veröffentlicht. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland im Jahr 1933 waren ihm jegliche Publikationsmöglichkeiten in Österreich und Deutschland verschlossen, der erste Teil seiner »Kulturgeschichte des Altertums« erschien 1936 in Zürich. Nur wenige Tage nach dem Anschluss Österreichs, am 16. März 1938, erschienen zwei SA-Männer an seinem Wohnhaus in der Gentzgasse im 18. Wiener Gemeindebezirk, woraufhin Friedell aus dem Fenster stürzte und verstarb. Bis heute ranken sich unterschiedliche Geschichten um seinen Tod, so erzählt man sich etwa, dass er noch umsichtig die Passanten gewarnt habe, bevor er aus dem dritten Stock gesprungen sei.
Anlässlich der 25. Wiederkehr seines Todestages wurde die schon erwähnte Gedenktafel an Friedells Wohn- und Sterbehaus in der Gentzgasse 7 im 18. Wiener Gemeindebezirk gestiftet. Diese wurde am 15. März 1963 in Anwesenheit von Vertreter*innen des Unterrichtsministeriums sowie des Wiener Kulturamts enthüllt; Worte des Gedenkens sprach Friedells Nachlassverwalter Walther Schneider.
Im Jahr 1974 stellte sich heraus, dass nicht alle Daten auf der Tafel stimmten, denn Friedell war den Recherchen zufolge schon im Jahr 1909, nicht erst 1911 in die Gentzgasse gezogen. Von der Erbin und Betreuerin des Friedell-Nachlasses Annemarie Kotab wurde die Bitte an die ÖGfL herangetragen, diesen Fehler noch vor dem 100. Geburtstag des Geehrten im Jahr 1978 richtig zu stellen. Da man sich keine neue Tafel leisten konnte, wurde der Steinmetz gebeten, den Irrtum zu beheben, selbst wenn das Ergebnis an Ästhetik einbüßen sollte:
»Es liegt uns nicht an der Schönheit, sondern nur an der Richtigkeit, aber für diese 6000 Schilling auszugeben, übersteigt leider unsere Möglichkeiten.«
(Hella Bronold an Franz Aufhauser, Brief vom 8. November 1974, ÖGfL-Archiv)
Am 7. Jänner 1975 konnte Wolfgang Kraus Annemarie Kotab die freudige Nachricht übermitteln, dass »nach Überwindung zahlreicher Schwierigkeiten […] die Sache noch rechtzeitig« (Wolfgang Kraus an Annemarie Kotab, Brief vom 7. Jänner 1975) vor Friedells 100. Geburtstag durchgeführt werden konnte; nicht nur wurde die Tafel ausgebessert, sondern auch die Schrift neu eingefärbt.
20 Jahre später wurde die Gedenktafel jedoch – nun auf Anregung von Kulturstadträtin Ursula Pasterk – ersetzt. Die Enthüllung der neuen, von der ÖGfL mit Unterstützung der Kulturabteilung der Stadt Wien angebrachten Tafel, fand am 7. Juli 1994 statt. Ansprachen hielten Wolfgang Kraus‘ Nachfolgerin und ÖGfL-Leiterin Marianne Gruber sowie Bernhard Denscher für die Stadt Wien. Die neue Inschrift lautete nun:
»ln diesem Hause lebte
von 1900-1938 der Österreichische
Schriftsteller u. Kulturhistoriker
Egon Friedell
– geb. 21.1.1878 –
Hier sprang er am 16.3.1938 aus
Furcht vor der Ergreifung
durch die SA in den Tod.«Österreichische Gesellschaft für Literatur
anstatt
»In diesem Hause lebte der österreichische
Schriftsteller und Kulturhistoriker
Egon Friedell
(21.1.1878-16.3.1938)
von 1911 bis zu seinem tragischen Tod.«Österreichische Gesellschaft für Literatur
Einerseits wurde bei der neuen Tafel das Jahr, in welchem Friedell seine Wohnung in der Gentzgasse bezogen hatte, erneut angepasst; es hatte sich entgegen der früheren Recherchen herausgestellt, dass er schon ab 1900 in der Gentzgasse gewohnt hatte. Andererseits sollten durch den veränderten Text, wie es in einer Pressemeldung vom 4. Juli 1994 heißt, die »Umstände des Todes von Friedell im Unterschied zu dem zuvor angebrachten Text deutlich zum Ausdruck« gebracht und »der gebotenen Sensibilität gegenüber den in der NS-Ära verübten Verbrechen Rechnung« geboten werden.
Doch dass der Wunsch, die historischen Fakten richtig darzustellen, mit dieser Inschrift erfüllt werden konnte, muss nach neueren Erkenntnissen bezweifelt werden. So ist dem vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes herausgegebenen Buch »Gedenken und Mahnen in Wien 1934-1945« zu entnehmen:
»Nach Angaben eines Neffen Egon Friedells beging der Schriftsteller nicht, wie bisher angenommen, Selbstmord, sondern stürzte, von uniformierten Nationalsozialisten tödlich verletzt, aus dem Fenster.«
(Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes [Hg.]: Gedenken und Mahnen in Wien 1934-1945. Gedenkstätten zu Widerstand und Verfolgung, Exil, Befreiung. Eine Dokumentation. Wien: Deuticke 1998, S.371)