Die einzige Persönlichkeit, für welche die Literaturgesellschaft eine Gedenktafel errichtete, ohne dass sie aus Österreich stammte oder Wurzeln auf dem Gebiet der ehemaligen Donaumonarchie hatte, ist der britische Schriftsteller W.H. Auden (1907-1973). Der Grund hierfür ist, dass sein Tod auf besondere Weise mit der Literaturgesellschaft verbunden war – doch dazu später mehr.
Auden, der in York geboren wurde und in der Nähe von Birmingham aufwuchs, fertigte schon im Alter von fünfzehn Jahren erste Gedichte an. Zeit seines Lebens sollte er über 400 lyrische Werke und ebensoviele Essays, Aufsätze und Rezensionen, ferner Theaterstücke und Opernlibretti verfassen, die größte Berühmtheit erlangte er aber als Lyriker. Bereits seine erste Publikation »Poems« im Jahr 1930 erregte Aufmerksamkeit, 1947 erhielt er für das Langgedicht »The Age of Anxiety« – dessen Titel in Anlehnung an Auden auch als Synonym für die Moderne verwendet wird – schließlich den Pulitzer-Preis für Poesie. Seine Lyrik zeichnete sich nicht nur durch ihre stilistische und technische Leistung aus, sondern auch durch eine große Vielfalt in Ton, Form und Inhalt. Thematisch setzte er sich mit Moral, Politik, Religion und Liebe auseinander, heute in der breiten Masse am bekanntesten ist – dank des Films »Vier Hochzeiten und ein Todesfall« (1994) – aber wohl sein Gedicht »Funeral Blues« aus dem Jahr 1936.
Nach 1945 verbrachte Auden, der zu Beginn des Zweiten Weltkrieges in die USA emigriert war, die Wintermonate in seiner Wahlheimat New York und die Sommermonate gemeinsam mit seinem Lebenspartner Chester Kallman in Europa – zuerst in Italien, ab 1957 im niederösterreichischen Kirchstetten, wo er sich von einem Preisgeld ein Bauernhaus gekauft hatte. Damit befand sich ein international angesehener Schriftsteller direkt im Wirkungskreis der Literaturgesellschaft. Es verwundert daher nicht, dass ihr Präsident Wolfgang Kraus im September 1962, nur wenige Monate nach Gründung der ÖGfL, an Auden herantrat und ihn zu einer Lesung einlud, die schon am 4. Oktober sehr erfolgreich stattfand. Einen Tag später schrieb Kraus begeistert an Auden:
»Ich möchte Ihnen für den unvergesslichen Abend in meinem und im Namen aller unserer Gäste nochmals meinen aufrichtigen Dank aussprechen. Der Eindruck, den diese Lesung im Publikum hinterlassen hat, war, wie ich mich nachher überzeugen konnte, unmittelbar und tief. Ich möchte Ihnen gerne sagen, dass Sie in Wien viele gute Freunde gewonnen haben.«
Wolfgang Kraus an W.H. Auden, Brief vom 5. Oktober 1962, ÖGfL-Archiv)
Schon ein Jahr später sprach Auden bei einem von der Literaturgesellschaft organisierten Kassner-Symposion zu dem Thema »Begegnung mit dem Werk Rudolf Kassners« (am 17.5.1963), gefolgt von einem Vortrag über T.S. Eliot (am 24.5.1965) und einer Teilnahme bei dem großen Round-Table-Gespräch »Literatur als Tradition und Revolution« im April 1967. 1970 las Auden, mittlerweile Preisträger des ›Österreichischen Staatspreises für Europäische Literatur‹, in der ÖGfL erneut aus seinen Gedichten (am 29.9).
Im Jahr 1973 erschien im Europaverlag, dessen Programmleiter Wolfgang Kraus zu diesem Zeitpunkt war, eine zweisprachige Ausgabe von Audens Erstlingswerk »Poems«; diese wurde am 28. September im Palais Palffy präsentiert. Nur wenige Stunden nach der Veranstaltung, in der Nacht zum 29. September, verstarb Auden, der bereits seit längerer Zeit an Herz- und Kreislaufstörungen gelitten hatte, in seinem Hotelzimmer. Ein/e bei der Lesung offenbar anwesende/r Journalist*in hielt daraufhin in der ›Presse‹ fest:
»Am Freitagabend hatte er noch im Palais Palffy beim Rezitieren seiner Gedichte die Zuhörer mitgerissen und mit typisch britischem Humor zum Lachen gebracht. Ein Riese mit zerfurchtem Gesicht, das das Leben und zugleich die Schönheit der Weisheit modelliert hat. Vital und ungebrochen. In der Nacht zum Samstag starb er im Schlaf in einem Wiener Hotel. Dem »Odysseus im Zeitalter der Angst« war ein gnädiger Tod beschieden.«
(Die Presse, 1. Oktober 1973, ÖGfL-Archiv)
Um Audens Andenken in Österreich zu ehren, errichtete die Literaturgesellschaft an seinem Sterbehaus, dem ehemaligen Hotel Altenburgerhof in der Walfischgasse 5, eine Gedenktafel, die am 26. November 1981 feierlich enthüllt wurde. Schon drei Jahre zuvor hatte Kraus‘ Mitarbeiterin Hella Bronold eine entsprechende Anfrage an die Hauseigentümer gestellt, in welcher sie die enge Verbundenheit der Literaturgesellschaft mit dem britischen Dichter betonte.