Zum Andenken an Alfred Kolleritsch – »Forum Stadtpark« und »manuskripte«: Diskussion um die veröffentlichte Literatur in den »manuskripten«
Entdeckt von Gregor Kodym im Rahmen seines Praktikums bei der Österreichischen Gesellschaft für Literatur.
Im Zuge meiner Praktikumstätigkeit bei der ÖGfL kam ich schon in den ersten Tagen meiner Mitarbeit in Kontakt mit dem österreichischen Schriftsteller und Lyriker Alfred Kolleritsch. Da ich in den ersten Tagen meines Praktikums damit beschäftigt war, Neuerscheinungen beziehungsweise Neuanschaffungen in unseren Werkbestand der lebenden Autor*innen einzuordnen, wurde es mir unter anderem auch zur Aufgabe, eine größere Lücke unter dem ›K‹ zu schaffen, da Alfred Kolleritsch im Mai 2020 im Alter von 89 Jahren verstorben war und nun, samt seiner doch recht umfangreichen Werksammlung, in das Regal der verstorbenen Schriftsteller*innen umsiedeln musste.
Gerade deshalb erschien es mir angebracht, als Andenken an einen großen österreichischen Schriftsteller und Lyriker wie Kolleritsch einer war, ihm einen Beitrag zu widmen, der seinen aufopfernden und unermüdlichen Einsatz für die österreichischen Autor*innen vor Augen führen soll.
Im April des Jahres 1967 richtete Alfred Kolleritsch in Form eines Briefes eine dringliche Bitte, einen Aufruf zur Unterstützung, an die Österreichische Gesellschaft für Literatur in Wien. Darin berichtete er von seiner Vorladung durch einige Grazer Kulturbeamte, mit der Aufforderung, dass er die in den ›manuskripten‹ veröffentlichte Literatur rechtfertigen solle. Es drohe ihm eine »subventionssperre…, wenn ich nicht von dem weg abrücke, den ich eingeschlagen habe«. Nun ersuchte er höflichst und baldigst um eine schriftliche Unterstützung von Seiten der ÖGfL, welche die neue »tendenz der modernen literatur« verteidigen und so zum Erhalt der ›manuskripte‹ beitragen sollte.
Dazu zunächst einige erklärende Ausführungen. ›manuskripte‹ ist eine österreichische Literaturzeitschrift, die anlässlich der Eröffnung der ein Jahr zuvor gegründeten künstlerischen Aktionsgemeinschaft ›Forum Stadtpark‹, im Jahr 1960 zum ersten Mal erschien. Kolleritsch war Mitbegründer dieses Forums und bis zu seinem Tode auch der Mitherausgeber der ›manuskripte‹. Kurz nach der Gründung des Forums und der zunächst dazugehörigen Literaturzeitschrift, bildete sich im Jahr 1961 die ›Grazer Gruppe‹, zu deren Mitgliedern einige namhafte Schriftsteller*innen wie Barbara Frischmuth, Peter Handke und Gunter Falk zählten. Erst mit dem Rücktritt Kolleritschs 1995 vom Posten des Vorstandes des ›Forum Stadtpark‹ und mit der darauffolgenden Gründung des ›manuskripte – Literaturvereins‹ konnte die Literaturzeitschrift ihre vollständige Unabhängigkeit erwerben.
Nun aber zu den Ereignissen des Jahres 1967, die von Kolleritsch geschildert wurden. Ab dem Jahr 1961 erschienen in den ›manuskripten‹ unter anderem die Arbeiten der Schrifsteller*innen mit Zugehörigkeit zur ›Wiener Gruppe‹. Darunter befand sich auch der Autor Oswald Wiener, der mit seinem Roman »Die Verbesserung von Mitteleuropa«, die angesprochene Misere auslöste. Angespornt von mehreren publizierten Ausschnitten aus diesem Roman, die in den ›manuskripten‹ veröffentlicht worden waren, wurde ein Pornographieprozess gegen Alfred Kolleritsch angestrengt auf den er in seinem Schreiben vom 11. April 1967, wenn auch nicht wortwörtlich, Bezug nimmt. Die Bezeichnung »entarteter Sonderfall«, die von Kolleritsch diesbezüglich aufgegriffen wurde, zeigt deutlich, welches konfliktreiche Potential diesem Roman innewohnt und mit welchem Argwohn ihm begegnet wurde. Nichtsdestotrotz löste dieser Prozess eine Welle des Protests und der Solidaritätsbekundungen für Alfred Kolleritsch und ›manuskripte‹ aus, die von zahlreichem deutschsprachigen Schriftsteller*innen und Medien unterstützt wurde. So äußerte sich auch die Österreichische Gesellschaft für Literatur mit folgenden Worten zu dem Sachverhalt:
»Sie sind in ihren Tendenzen kein Sonderfall… Das Leben eines erfolgreichen Schriftstellers heute – und sie sind es, die den Ton angeben – ist wie das eines Politikers oder eines Dirigenten eine Zerreissprobe. So entsteht eine Literatur, die hart ist, die angreift, Aktion ist. Es kann sein, dass es dort und da zu einem Zusammenprall kommt. Aber diese Literatur entsteht nicht am Rande der Gesellschaft, ist von ihr nicht abzutrennen, ist einer ihrer eigensten Aspekte.«
Der Pornographieprozess gegen Alfred Kolleritsch scheiterte und entgegen der Anstrengungen einiger Grazer Kulturbeamte, konnte der Fortbestand ›manuskripte‹, nicht zuletzt auch mit Hilfe des begeisterten Zuspruchs vieler deutschsprachiger Schriftsteller*innen und Medien, darunter auch die ÖGfL, gesichert werden. Zum vermeintlichen Entsetzen besagter Kulturbeamter, erzeugte der mediale Aufruhr, der durch den Prozess entstand, vielmehr, dass die bis dahin in Deutschland weitgehend unbemerkte Literaturzeitschrift, auch dort nun vermehrt Beachtung fand.
Österreichische Gesellschaft für Literatur am 31. Mai 2021