Heute vor genau 100 Jahren, am 21. Oktober 1922, wurde der Germanist Peter Demetz in Prag geboren. Die jüdische Familie seiner Mutter entstammte – wie die Mutter von Franz Kafka, mit dem er sich später literaturwissenschaftlich auseinandersetzen sollte – der kleinen Stadt Poděbrady, die der ladinischen Minderheit angehörenden Vorfahren seines Vaters dem Südtiroler Grödnertal. In den 1880er Jahren nach Prag ausgewandert, wohnten sie, wie Peter Demetz in seinem Erinnerungsbuch »Mein Prag« schrieb, »mit ihrem barocken Katholizismus […] paradoxerweise nur einen Katzensprung von der Familie Kafka entfernt«. Sein Vater Hans Demetz war als Dramaturg am Deutschen Theater Teil der Prager Literatenkreise der Zwischenkriegszeit; später wurde er Theaterdirektor in Brno und Wien.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, den Peter Demetz Zwangsarbeit leistend überlebte, studierte er an der Karls-Universität in Prag Germanistik und promovierte 1948. Ein Jahr später floh der durch die aufkommende kommunistische Herrschaft erneut Verfolgte nach Deutschland; 1953 emigrierte er schließlich in die Vereinigten Staaten. Dort machte er nicht nur Karriere als Auslandsgermanist – u.a. veröffentlichte er Werke zu Theodor Fontane, zur deutschen Gegenwartsliteratur und zur Geschichte und Kultur Böhmens–, sondern übersetzte auch zahlreiche Werke tschechischer Prosa und Lyrik ins Deutsche. An der Yale University in New Haven war Peter Demetz zuerst Dozent, ab 1962 ordentlicher Professor für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaften und von 1963 bis 1969 Direktor des Fachbereichs Germanistik.
In eben diese Zeitspanne fällt auch der erste Kontakt zur Österreichischen Gesellschaft für Literatur. Wolfgang Kraus hatte Peter Demetz eingeladen, in der Literaturgesellschaft zu sprechen, im November 1966 kam der Germanist auf diesen Vorschlag zurück:
»Der einzige Vorteil meiner Verwaltungstätigkeit besteht darin, dass ich, den Terminkalender immer vor Augen, im heftigsten Gefecht immer darüber nachdenke, wie ich in der Routine für eine Woche entfliehen könnte. Eben stelle ich fest, dass in der ersten Maiwoche 1967 einige Vorlesungen ausfallen und ich frage mich, ob ich nicht auf Ihre freundliche Einladung zurückgeifen darf.«
(Peter Demetz an Hella Bronold, Brief vom 2. November 1966, ÖGfL-Archiv)
Am 8. Mai 1967 hielt Peter Demetz schließlich im Palais Pálffy den Vortrag »Was ist Realismus? Gedanken eines Literaturhistorikers«. Einen Monat später bedankte er sich postalisch noch einmal für die Einladung:
»Ich bin Ihnen sehr dankbar für die Gelegenheit, vor einem verständnisvollen Wiener Publikum sprechen zu dürfen – wenn’s zu rasch war, dann nur deshalb, weil ich gleich am Anfang spürte, dass die Zuhörer ein wenig anders reagierten als das gewohnte amerikanische Publikum, deshalb meine Nervösität, der ich das nächste Mal (hoffentlich gibt’s eins) nicht zum Opfer zu fallen hoffe.«
(Peter Demetz an Wolfgang Kraus, Brief vom 26. Juni 1967, ÖGfL-Archiv)
Peter Demetz, der ab 1972 die ›Sterling Professur für Germanistik‹ an der Universität Yale inne hatte, nahm in den folgenden Jahren an von der ÖGfL organisierten Symposien über Reiner Maria Rilke (1975) und über Adalbert Stifter (1978) teil; zudem sprach er bei dem großen gemeinsam mit der ›Franz Kafka Gesellschaft‹ veranstalteten Symposion »Prager Deutschsprachige Literatur zur Zeit Franz Kafkas« im Juni 1989.
Wie die Korrespondenz zwischen New Haven und Wien zeigt, hätte die ÖGfL Peter Demetz gerne häufiger nach Wien eingeladen, dessen Terminkalender ließ es jedoch nicht zu. So hatte Wolfgang Kraus den Germanisten etwa schon vier Jahre zuvor zu der für den Juni 1987 angesetzten Kafka-Tagung »Prager deutschsprachige Literatur zur Zeit Kafkas« gebeten, welche im Stift Klosterneuburg abgehalten wurde. Peter Demetz sagte ab, mit Verweis auf seine Tätigkeit als Juror bei den Klagenfurter Ingeborg Bachmann Tagen, aufgrund derer er Ende Juni ohnehin schon hinsichtlich seiner universitären Verpflichtungen »sündigen« müsse:
»Ich hoffe, Sie nehmen mir’s nicht übel, dass es wieder einmal nicht klappt, denn Sie kennen ja meine Neigung, bei interessanten Konferenzen dabei sein zu wollen, besonders in barocken Klostersälen.«
(Peter Demetz an Wolfgang Kraus, 4 Dezember 1986, Archiv der ›Franz Kafka Gesellschaft‹)
Nach seiner Emeritierung im Jahr 1991 konnte Peter Demetz dann häufiger nach Wien kommen. In der Literaturgesellschaft sprach er am 23. April 1991 zum Thema »Vergangenheit der Zukunft. Futurismus: Literatur, Kunst, Politik«; des Weiteren stellte er am 18. Juni 1996 den Essay-und Erinnerungsband »Böhmische Sonne, mährischer Mond« vor und präsentierte am 28. November 2002 »Die Flugschau von Brescia. Kafka, d’Annunzio und die Männer, die vom Himmel fielen«. Am 20. Oktober 2006 las er darüber hinaus aus dem Band »Böhmen böhmisch«.
Peter Demetz‘ letzter Aufritt in den Räumlichkeiten der ÖGfL fand im Jahr 2011 statt, als er dem Wiener Publikum zwei jüdische Dichter vorstellte, die die Besetzung Prags durch die Nationalsozialisten nicht überlebt hatten: Hans Werner Kolben und Jirí Orten, deren Werke der Germanist herausgegeben – Hans Werner Kolben, »Das Schwere wird verschwinden« – bzw. übersetzt – Jirí Orten, »Elegien« – hatte. Die Veranstaltung schien wohl kurzfristig während eines Wienbesuchs von Peter Demetz angesetzt worden zu sein, denn im digitalen Programm-Archiv der ÖGfL findet sich folgender Vermerk: »Achtung: Diese Veranstaltung steht nicht im gedruckten Programm!«
Die Österreichische Gesellschaft für Literatur wünscht Peter Demetz alles Gute zum Geburtstag!